Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
wie ein sich hebender Vorhang den Blick auf Svakopmund freigab. Kurz darauf erlebte Jella eine zweite Enttäuschung. Sie hatte ein hübsches norddeutsches Städtchen erwartet, so wie die Plakate und Werbungen Deutsch-Südwest immer anpriesen. Stattdessen blickte sie auf ein paar locker verstreute Holzhütten, eine Kirche und wenige Steinhäuser, die
alles andere als den Eindruck einer prosperierenden Stadt vermittelten. Alles in allem sah die Ansiedlung ziemlich öde und planlos aus. Immerhin hatten sich am Strand in der Nähe des kümmerlichen Leuchtturms ein paar Menschen versammelt, um die neu Angekommenen zu begutachten. Mit dem sich auflösenden Nebel verflog auch Jellas Zuversicht. Auf was hatte sie sich hier bloß eingelassen? Sie biss sich auf die Lippen und kämpfte trotzig gegen die aufsteigenden Tränen. Zum Glück kam Lisbeth mit ihrer Reisetasche zu ihr.
»Nun mach schon, Jella«, rief sie voller Tatendrang. »Wir wollen sehen, dass wir bei den Ersten sind, die das Schiff verlassen können. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, diesen schunkelnden Dampfer zu verlassen!«
Jella ließ sich durch die aufmunternden Worte ihrer Freundin gern trösten. Sie ging ein letztes Mal in ihre Unterkunft im Zwischendeck, nahm ihre gepackten Taschen und begab sich an die Reling, von der aus die Passagiere an Körben in die schwankenden Landungsboote der Krus hinabgelassen wurden. Die Körbe erinnerten an norddeutsche Bienenkörbe. Nur waren sie mit einer seitlichen Einstiegsluke versehen. Ein seltsam mulmiges Gefühl befiel sie, als sie von oben herab auf die schwankenden Boote blickte und sich vorstellte, wie sie gleich in dem pendelnden Korb aus schwindelerregender Höhe hinabgelassen würde. Immer zwei Personen fanden Platz in dem engen Transportkorb. Am oberen Ende waren Halteschlaufen aus Leder festgemacht, an denen man sich festhalten konnte. Die Gäste der ersten Klasse kamen als Erste an die Reihe. So manch einer stieg bibbernd hinein. Andere schlossen die Augen, sprachen ein kurzes Gebet oder verzogen angstvoll ihr Gesicht, wenn es hinabging. Doch die Kru-Boys waren äußerst geschickt. Sie griffen beherzt nach dem ankommenden Korb und halfen den Passagieren an Bord. Sofort wurde der Korb wieder nach oben gezogen, bevor wenig später der nächste
anlandete. Lisbeth gehörte plötzlich auch zu denjenigen, die lieber gestorben wären, als sich in das wankende Ungetüm zu begeben.
»Dieses windige Gestell wird mich niemals tragen. Es wird mich einfach in die See hineinspülen«, jammerte sie. »Dabei kann ich nicht einmal schwimmen!«
»Nun stell dich nicht so an«, lachte Jella. »Oder willst du etwa wieder mit der Hans Woermann zurück nach Deutschland schippern? Denk doch mal an die Seekrankheit.« Lisbeth sah Jella erschrocken an.
»Nein, zurück geh ich ganz bestimmt nicht mehr. Lieber ertrinke ich in dieser kabbeligen Brühe da unten.« Entschlossen griff sie nach der Halteschlaufe und stieg zu Jella in den Korb.
»Einen angenehmen Aufenthalt den jungen Damen«, wünschte ein Offizier noch zum Abschied. Dann ging es hinunter in Richtung Landungsboot. Etwa fünf Meter über dem sie erwartenden Boot blieb der Korb für einen Augenblick stecken. Lisbeth schrie ängstlich auf. Jella versuchte sie zu beruhigen. Doch der Korb begann nun gefährlich hin und her zu schwanken. Von oben hörten die beiden jungen Frauen eilige Befehle.
»Ruhig bleiben«, rief jemand. Doch Lisbeth war dazu ganz und gar nicht in der Lage. Unwillkürlich ging sie in die Knie und ließ dabei beinahe die Schlaufe los.
»Ich kann nicht schwimmen«, heulte sie. »Mein letztes Stündlein hat geschlagen.«
»Nun stell dich doch nicht so an. Sieh mal, es geht schon wieder weiter.«
Tatsächlich machte der Korb einen Ruck und senkte sich wieder. Allerdings pendelte er immer noch sehr stark und schien das Landungsboot knapp zu verfehlen. Jella rechnete schon mit einem Bad, als starke Hände nach dem Korb griffen und ein beherzter Griff sie aus dem Korb rein in ein nicht minder schwankendes Boot zog. Josuah sah Jella mit seinen freundlichen Augen an und lachte.
»Willkommen an Bord, Missus.« Dankbar nahm sie seine dargereichte Hand und setzte sich neben Lisbeth auf die Ruderbank. Ihre Freundin krallte bereits ihre Fingernägel in das Holz, als wollte sie sich an der Bank festhaken. Ihr Gesicht begann sich von der wilden Schaukelei schon wieder ins Grünliche zu verfärben.
»Nun komm schon«, tröstete Jella. »Gleich haben wir’s
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