Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
zurückgekehrt. Allerdings hatte sie sich dort nicht mehr so richtig wohl gefühlt.
»Weißt du, bei uns in Stuttgart kam mir alles so eng und eingeschlossen vor. Mir fehlte die Weite der afrikanischen Steppe und die Herzlichkeit der afrikanischen Menschen.«
Nach nur wenigen Monaten in Deutschland war ihr klar gewesen, dass sie wieder zurück nach Afrika wollte. Als eine protestantische Missionsgesellschaft Krankenschwestern für die Kolonie Deutsch-Südwest suchte, hatte sie sich sofort freiwillig gemeldet. Zuerst sollte sie in der Krankenstation in Svakopmund aushelfen,
bevor sie dann zu weiteren Einsätzen ins Land geschickt werden würde. Als Jella berichtete, dass auch sie über Kenntnisse in der Krankenpflege verfügte, war Lisbeth begeistert.
»Aber dann können wir ja zusammenarbeiten!«, schlug sie begeistert vor. Doch Jella schüttelte bedauernd den Kopf und erzählte, dass sie nach Afrika ging, um ihren Vater zu suchen.
»Schade«, bedauerte Lisbeth, »aber wer weiß? Das Land ist auf der einen Seite schrecklich weit und groß, aber auf der anderen Seite trifft man sich auch immer wieder, wie in einer Kleinstadt.«
Wenige Stunden später lief das Schiff aus. Mit lautem Tuten fuhr die Hans Woermann in Begleitung zweier Lotsenboote gemächlich aus dem weitläufigen Hamburger Hafen heraus. Links und rechts türmten sich die Dampfkräne auf den Hafenmolen. Einige wenige Besucher standen am Kai und winkten den Auslaufenden nach. Jella achtete nicht auf sie, wohl auch, weil es sie ein wenig schmerzte, dass keiner ihrer wenigen Freunde hatte kommen können, um ihr Lebewohl zu sagen.
»Es wird dir schon gefallen in deiner neuen Heimat«, behauptete Lisbeth fröhlich. »Du bist genau die Richtige für Afrika. Das Land braucht keine verwöhnten Frauen und großmäuligen Männer, sondern Menschen wie du und ich, die die Dinge positiv angehen.«
Jella lachte. »Und so eine, meinst du, bin ich? Wenn du dich da mal nicht täuschst!«
»Ich bin vielleicht nicht so gebildet wie du, aber mit Menschen kenne ich mich aus.«
Jella freute sich über die fröhliche Lisbeth. In mancherlei Dingen war sie erfrischend naiv, aber wenn es darauf ankam, Menschen einzuschätzen, dann war sie unübertrefflich.
Bald nach ihrem Auslaufen begann es erst zu nieseln und schließlich zu regnen. Jella und Lisbeth begaben sich in den kleinen
Speisesaal, der gleichzeitig auch den Zwischendecklern als Aufenthaltsraum diente. Einige der Auswanderer hatten es sich an den schmucklosen Tischen gemütlich gemacht und spielten Karten. Die Frauen saßen ebenfalls in Grüppchen beieinander, um sich zu unterhalten, während die Kinder zwischen den Stühlen und Tischen herumtobten. Die beiden jungen Frauen setzten sich an einen kleinen Tisch vor einem der Bullaugen, hinter dessen milchigen, schmutzigen Scheiben sich das tiefdunkle Grau des Meeres mit dem nuancenreicheren Grau des Himmels vermischte. Der Regen fiel wie ein silberner Vorhang vom Himmel herab. Während es draußen nicht viel zu sehen gab, spielte sich das Leben im Bauch des Schiffes ab. Die Passagiere der ersten und zweiten Klasse hielten sich in ihrer eigenen Welt im Oberdeck auf. Beim Abschied im Hafen hatte Jella einen Blick auf sie werfen können. Es waren durchweg Offiziere, Kaufleute und Ingenieure, deren Arbeitskraft und Abenteuerwille in Deutsch-Südwest gefragt waren. Zwei von ihnen wurden von ihren Gemahlinnen begleitet. Die Soldaten der Schutztruppen hielten sich ebenfalls im Zwischendeck auf. Sie waren allerdings in einer eigenen Mannschaftsunterkunft untergebracht. In der Regel blieben die Männer in ihren beigen Drillichanzügen und den breitkrempigen Hüten, die auf einer Seite fesch nach oben geklappt waren, unter sich. Als der Regen nach etwa zwei Tagen aufhörte, wagten sich die meisten der etwa hundert Passagiere ans Oberdeck, um etwas Luft zu schnappen. Der Himmel war zwar immer noch grau verhangen, aber hie und da riss der auffrischende Wind einige tiefblaue Lücken in die dichte Wolkendecke, durch die die Sonne wie in einer Theateraufführung gezielt ihre Strahlen sandte. Jella war von dem Naturschauspiel beeindruckt. Der Gefreite Knorr nutzte die Gelegenheit, um Jella einmal wieder zu belehren.
»Das sieht ganz und gar nicht gut aus«, verkündete er mit wichtigtuerischer Miene und deutete auf das Wolkenspektakel. »Aus
gut unterrichteter Quelle weiß ich, dass wir mit einem Sturm vor La Coruna rechnen müssen. Ich hoffe nur, Sie sind so seefest wie
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