Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
die christianisierten Schwarzen. Jella hielt sich normalerweise seit der Beerdigung ihrer Mutter von Gottesdiensten fern. Sie bedeuteten ihr nichts mehr, seitdem sie hatte erfahren müssen, dass in der Kirche Konventionen und falsche Moralvorstellungen über das Wohl der Gläubigen und den Inhalt des Glaubens gingen. Doch an diesem letzten Sonntag in Svakopmund entschloss sie sich, doch hinzugehen. Man hatte ihr gesagt, dass hier im Schutzgebiet die Kirche eine Gemeinschaft war, die einem über die einfachen Belange des Glaubens hinaus Schutz bot und einen auch gesellschaftlich integrierte.
Zu ihrer großen Freude traf sie dort auf Lisbeth. Die junge Schwäbin war nun in die weiße Tracht der Missionsschwestern gekleidet und machte einen zufriedenen Eindruck.
»Stell dir nur vor«, teilte sie ihrer Freundin aufgeregt mit. »Ich werde morgen nach Windhuk reisen. Im dortigen Krankenhaus suchen sie dringend nach ausgebildeten Krankenschwestern. Das wäre doch auch was für dich!«
Jella wehrte ab. »Du weißt doch, dass ich meinen Vater suche. Immerhin werden wir die Fahrt gemeinsam machen. Ich bin sicher, dass ich dort etwas über meinen Vater erfahren werde.«
Lisbeth zuckte mit den Schultern.
»Wie du meinst. Auf jeden Fall freue ich mich, dass wir die ganze lange Zugfahrt füreinander Zeit haben werden.«
Nach dem Gottesdienst, den ein würdevoller protestantischer Pastor auf weitschweifende, ostpreußische Art gehalten hatte, trafen sich die Gläubigen auf dem Platz vor der hölzernen Kirche. Man unterhielt sich über dieses und jenes. Besonders die neu Angekommenen wurden herzlich begrüßt, wohl auch deswegen, weil man von ihnen Neuigkeiten aus Deutschland zu erfahren hoffte.
»Hat der Kaiser immer noch seinen Uniformfimmel?«, fragte Fanny neugierig. Verschwörerisch fügte sie hinzu: »Ich hab gehört, er macht das alles nur, um die Minderwertigkeitskomplexe wegen seines verstümmelten Armes zu überdecken. Ist ja auch’ne Schande, dass wir einen Herrscher haben, der nicht mal vollständig ist und noch dazu so dürr.«
»Dafür hat er sogar hier Untertanen, die von allem etwas zu viel haben«, meinte Lisbeth spöttisch und knuffte Jella grinsend in die Seite.
»Lieber etwas zu viel auf den Rippen als so magere Suppenhühner zu sein wie ihr beide!«, konterte Fanny beleidigt. Jella unterdrückte mit Mühe ein Lachen.
»Komm, lass uns einen kleinen Ausflug in die Wüste unternehmen. Ich möchte, dass wir uns etwas ansehen.«
Sie schleifte Lisbeth, die heute frei hatte, mit sich. Nicht weit von Svakopmund sollten sich mitten in der Wüste, allein und verrostet,
die Überreste eines Lokomobils befinden. Jella hatte am vorigen Tag einige Gäste im Speisesaal des Hotels amüsiert von ihm reden hören, was sofort ihre Neugier geweckt hatte.
»Was sollen wir denn da draußen in der ollen Wüste?«, beschwerte sich Lisbeth schon nach wenigen hundert Metern. Der Weg war in der Tat nicht sehr abwechslungsreich und noch dazu durch den feinen Sand äußerst beschwerlich. »Hier gibt es doch nur Sand und Hitze.«
»So heiß ist es wirklich nicht«, hielt Jella dagegen. »Außerdem muss dieses Lokomobil äußerst kurios sein.«
»Lokowas?«
»Lokomobil. Eine Dampfmaschine auf Rädern.«
»Was soll daran schon kurios sein?«
»Sie heißt Martin Luther.«
»Na prima!«
Energisch schleifte Jella ihre Freundin weiter. Doch Lisbeth blieb nochmals stehen und zeigte auf eine Staubwolke, die sich ihnen näherte. Als sie in Sichtweite war, begann sie wild mit den Armen zu fuchteln.
»Was soll das denn?«, fragte Jella verwundert.
»Mensch, mir tun die Füße weh, und die Kutsche da fährt genau in unsere Richtung. Wir könnten fahren.«
Tatsächlich verlangsamte die Pferdekutsche ihre Fahrt und hielt neben ihnen an. Jellas Herz klopfte ein wenig schneller, als sie Fritz van Houten erkannte. Freundlich lüpfte er seinen Hut und fragte sie, wohin sie wollten.
»Dann haben wir ja denselben Weg«, meinte er und bot ihnen an, zu ihm auf den Kutschbock zu steigen. »Ich habe gerade dieses Pferd erstanden und wollte sehen, ob es auch für die Kutsche taugt. Bei uns muss ein Pferd für mehrere Arbeiten herhalten.«
Jella achtete darauf, dass Lisbeth neben van Houten zu sitzen kam, um ihm körperlich nicht allzu nahe zu sein. Dieser Mann
löste in ihr Gefühle aus, die sie auf beunruhigende Weise verunsicherten. Lisbeth fühlte sich dagegen zwischen ihnen pudelwohl.
»Dann wollen Sie also auch dieses komische
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