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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Familie, stimmt’s?« Das hatte Gloria zumindest gehört. Grandma Gwyn und Elizabeth Greenwood hatten von irischen Familien mit Dutzenden von Kindern erzählt.
    Der Smutje lachte, aber Harry runzelte die Stirn. »Genau, Süße, massenhaft Chinesen aller Art. Und jetzt sei noch mal besonders nett zu mir. Morgen gehen wir in die Stadt, da lernst du den Steward kennen.«
    Gloria nickte. Wahrscheinlich würde auch der sie »testen« wollen wie Harry in San Francisco. Sie wappnete sich für ein Pendant zu Jennys Absteige.
     
    Kanton war eine verwirrende Mischung aus engen Gassen, in denen anscheinend ständig Markt gehalten wurde, schreienden und streitenden Menschen in seltsamer, meist blaugrauer Kleidung, breiten, flachen Hüten und langen Zöpfen, egal ob Mann oder Frau. Die Frauen trippelten mitunter seltsam daher; sie schienen sehr kleine Füße zu haben. Die Chinesinnen hielten die Köpfe gesenkt und trugen oft schwere Lasten auf den Schultern. Männer und Frauen waren winzig; selbst die größten Männer erreichten allenfalls die Größe Glorias, und alle schienen pausenlos zu reden. Harry lotste sie über einen Markt, auf dem fremde Gewürze, seltsam eingelegte Gemüse und Wurzeln und lebende und tote Schlachttiere feilgehalten wurden. Gloria zuckte zusammen, als sie verzweifelt jaulende Hunde entdeckte, die offensichtlich einem traurigen Schicksal als Braten entgegensahen.
    »Der Koch auf dem Schiff ist aber Engländer, oder?«, fragte sie nervös.
    Harry lachte. »Davon geh ich aus. Keine Angst, man wird dich schon nicht mit Hunden füttern. Komm, gleich sind wir da.«
    Der Steward der 
Niobe
 wartete in einer Art Teezimmer. Es gab allerdings keine richtigen Möbel, sondern man kniete um kleine Lacktischchen herum. Der Mann stand höflich auf, um Gloria zu begrüßen, schien sonst aber nicht davon auszugehen, ein mündiges, intelligentes Wesen vor sich zu haben. So richtete er das Wort nur an Harry; Gloria hätte ebenso gut stumm sein können. Auch in Bezug auf seine Wortwahl war er nicht sehr zurückhaltend.
    »’ne Schönheit ist sie ja nicht«, bemerkte er, nachdem er Gloria gründlich gemustert hatte.
    Harry verdrehte die Augen. »He, was willste? ’ne englische Rose? Die hier ist mehr der Polynesiertyp. Macht sich ohne Kleider deutlich besser. Und ist ja auch nicht so, als hättest du viel Auswahl.«
    Der Steward grummelte. Auch er war keine Schönheit. Er war zwar groß, aber plump, und sein Körper wirkte gedrungen. Gloria mochte sich gar nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn er auf ihr lag. Sie zwang sich, an Australien zu denken. Inzwischen sah sie die Sache wie Harry. Australien, das war fast schon daheim ...
    »Und sie ist nicht ausgelutscht? Halbwegs sauber? Da legen die Wert drauf. Man kann sagen, was man will, aber zumindest die Japse baden öfter als wir.«
    Gloria sah Harry Hilfe suchend an.
    »Gloria ist sehr sauber«, erklärte er. »Und sie ist noch nicht lange im Gewerbe, ein braves Mädchen, das nur aus irgendeinem Grund ans andere Ende der Welt will. Also nimm sie oder lass es. Ich kann sie auch diesem Russen geben, der nach Indonesien will ...«
    »Fünfzig Dollar!«, sagte der Steward.
    Harry verdrehte die Augen. »Müssen wir das noch mal durchziehen? Und diesmal vor den Ohren des Mädchens? Hatten wir das nicht gestern schon?«
    »Sie soll ruhig wissen, was sie wert ist.« Der Steward versuchte erneut, Glorias Figur unter der Männerkleidung zu taxieren. Er hatte hellblaue, kleine Augen mit fast farblosen Wimpern. Sein Haar war hellrot. »Dann macht sie mir keine Zicken. Was hatten wir also noch gesagt? Sechzig?«
    »Fünfundsiebzig! Und keinen Cent weniger!« Harry blitzte den Mann an und warf Gloria dann einen entschuldigenden Blick zu. »Ich geb dir zehn ab!«, wisperte er ihr zu.
    Gloria konnte nicht einmal nicken.
    Widerwillig zückte der Mann seine Börse. Langsam zählte er fünfundsiebzig Dollar ab.
    Gloria suchte Harrys Blick. »Es ... es ist wahr? Du verkaufst mich?« Sie konnte es immer noch nicht glauben.
    Harry wand sich unter ihren vorwurfsvollen Augen. »Schau, Süße, so ist das nicht, es ...«
    »Herrgott, was soll das denn nun?« Glorias neuer Besitzer schlug verärgert die Augen gen Himmel. »Klar verkauft er dich, Mädchen, das kann dir doch nicht neu sein. Wenn der Kerl mich nicht belogen hat, hast du gerade vierzehn Tage für ihn angeschafft. Und jetzt tust du’s für mich, so einfach ist das. Also spiel nicht die Unschuld vom Lande, sondern reiß dich

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