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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Dunedin vorzubereiten, die seit ihrer Gründung 1869 auch Frauen uneingeschränkt offen stand. Mrs. Lancaster, eine mütterliche Frau, deren Ehe zu ihrem großen Kummer kinderlos geblieben war, schaffte eine freundliche Atmosphäre. Natürlich gab es Rangeleien unter den Mädchen wie überall sonst, doch die Lehrerschaft sorgte dafür, dass niemand zu sehr ausgegrenzt oder gar gequält wurde. Die Mädchen ließen folglich auch Gloria in Ruhe und neckten sie nicht, wenn sie starr an einem der Pulte saß und teilnahmslos auf die Tafel oder aus dem Fenster starrte, ohne wirklich etwas zu sehen.
    Unterrichtete Sarah die jüngeren Mädchen, so wartete Gloria vor der Klasse – bis Mrs. Lancaster sie da einmal entdeckte und ansprach.
    »Langweilen Sie sich nicht, Gloria? Vielleicht hätten Sie Lust, ein bisschen im Haus zu helfen?«
    Gloria nickte desinteressiert, folgte der Rektorin aber brav in die Küche. Sie schnippelte geduldig Gemüse oder schälte Kartoffeln, während die Köchin gutmütig auf sie einredete. Sie hatte Maori-Ahnen und erzählte stundenlang von ihrer Familie und dem Stamm ihrer Mutter, ihrem Mann, der in der Schule als Hausmeister tätig war, und ihren drei Kindern.
    »Wenn du von einer Farm kommst, willst du vielleicht lieber im Garten helfen«, meinte sie freundlich. »Mein Mann findet sicher etwas für dich zu tun ...«
    Gloria, die normalerweise stumm zuhörte, schüttelte erschrocken den Kopf. Der Hausmeister war ein älterer, geduldiger Mann, es war eigentlich nicht zu erwarten, dass er über sie herfiel. Aber Gloria hätte am liebsten jedes männliche Wesen gemieden.
    Was dies anging, war sie in der Princess Alice natürlich genau richtig. Die Schule war ein Frauenrefugium, es gab keine männlichen Lehrer. Außer dem Hausmeister betrat lediglich der Vikar das Haus, der samstags den Gottesdienst abhielt, aber in die Kirche ging Gloria ohnehin nicht. Natürlich wusste das Mädchen, dass es die Schule irgendwann verlassen musste, und irgendetwas in Gloria sehnte sich auch nach wie vor, Kiward Station endlich wiederzusehen. Hätte ihr jemand während ihrer Wanderungen gesagt, dass sie nur eine kurze Zugreise von Christchurch entfernt tagelang verharren würde, hätte sie ihn für verrückt erklärt. Aber jetzt war sie wie gelähmt.
    Sarah Bleachum konnte ihr noch so oft sagen, dass Grandma Gwyn sich um sie sorgte und sie mit offenen Armen aufnehmen würde – Gloria hatte Angst vor der Begegnung mit ihrer Familie. Grandma Gwyn hatte ihr immer angesehen, wenn sie etwas angestellt hatte. Was, wenn es ihr auch jetzt nicht gelang, sie zu täuschen? Was, wenn sie erkannte, was aus ihrer Gloria geworden war?
    Noch schlimmer war der Gedanke an Jack. Was würde er über sie denken? Verfügte auch er über den Instinkt ihrer Freier, die stets sofort die Hure in ihr erkannt hatten?
    Sarah sah mit Sorge, dass ihr Schützling begann, sich an der Princess Alice einzurichten. Schließlich entschloss sie sich, mit Gloria zu reden. Sie suchte das Mädchen in dem kleinen Zimmer auf, das Mrs. Lancaster ihr zugeteilt hatte. Gloria betrat es nur zum Schlafen, ansonsten folgte sie Sarah wie ein Schatten. Am liebsten wäre sie auch nachts nicht von ihrer Seite gewichen, denn sie litt unter qualvollen Albträumen.
    »Glory, so geht das nicht weiter«, sagte Sarah sanft. »Wir müssen deine Großmutter endlich informieren. Du bist jetzt zwei Wochen hier. Du bist in Sicherheit, aber wir lassen zu, dass sie sich weiter um dich sorgt. Das ist grausam.«
    Glorias Augen füllten sich schon wieder mit Tränen. »Wollen Sie, dass ich weggehe?«
    Sarah schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht loswerden, Glory. Aber du bist doch nicht um die halbe Welt gereist, um dich in einem Internat in Dunedin zu vergraben! Du wolltest nach Hause, Glory. Nun geh nach Hause!«
    »Aber ich ... ich kann nicht, nicht so ...« Gloria fuhr nervös durch ihr kurzes Haar.
    Sarah lächelte. »Miss Gwyn legt keinen Wert auf Korkenzieherlocken. Sie hat dich schon mal mit einem Kurzhaarschnitt gesehen, weißt du nicht mehr? Und deine ganze Kindheit lang bist du in Reithosen rumgelaufen. Für deine Grandma brauchst du dich nicht in Schale zu werfen und für deinen Hund auch nicht.«
    »Meinen Hund?«, fragte Gloria.
    Sarah nickte. »Hieß er nicht Nimue?«
    Glorias Gedanken rasten. Konnte Nimue noch am Leben sein? Sie war jung gewesen, als Gloria gegangen war. Seitdem waren acht Jahre vergangen ...
    »Und hier könntest du sowieso nicht bleiben«,

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