Der Ruf der Kiwis
sprach Sarah weiter. »Nach den Sommerferien wird die Schule bis auf Weiteres geschlossen. Mrs. Lancaster hat entschieden, sie während des Krieges als Hospital zur Verfügung zu stellen.«
Gloria blickte sie verwirrt an. Natürlich, es war Krieg. Aber doch nicht in Neuseeland ... Auch in Australien war nichts vom Krieg zu merken gewesen. Klar, sie warben Freiwillige an, aber Kämpfe im Land gab es nicht. Wozu also ein Hospital?
Sarah Bleachum las ihr die Frage vom Gesicht ab.
»Glory, Liebes, hast du nie etwas von einem Ort namens Gallipoli gehört?«
8
Roly O’Brien wechselte aufatmend – wenn auch ein wenig beschämt darüber, dass er nun doch wieder als »Krankenbruder« endete – zu Commander Beestons Sanitätsbrigade. Er bewährte sich dort hervorragend.
»Scheint, als hätten Sie schon wieder was bei mir gut!«, erklärte Commander Beeston Jack vergnügt, als die Männer sich an einem warmen Juliabend am Strand trafen. »Ihr Private O’Brien ersetzt mir zwei Pfleger.« Commander Beeston ließ sich in den warmen Sand fallen. Paddy tollte in den Wellen, um die Männer herum herrschte Picknickstimmung. An der Front war es seit Wochen ruhig; die Türken waren offensichtlich übereingekommen, einfach abzuwarten. Am Strand von Gallipoli stellte der Feind schließlich nichts an, im Gegenteil, die hingehaltenen Streitkräfte konnten nirgendwo sonst eingesetzt werden.
Jack wehrte ab. »Ich wusste, dass Roly sich gut machen würde. Aber es war trotzdem ein Riesengefallen, den Sie mir da getan haben. Dafür hole ich Ihnen den kleinen Kläffer noch dreimal aus dem Wasser. An den Geschützlärm hat er sich jetzt ja auch gewöhnt ...«
Beeston zuckte die Schultern. »Ist schließlich kaum noch was zu hören. Aber lange geht das nicht gut. Wir sind hier, um den Zugang nach Konstantinopel zu erobern. Nicht zum Wellenreiten.« Er wies auf ein paar junge Soldaten, die sich im Wasser vergnügten.
»Sie meinen, wir werden angreifen?«, fragte Jack alarmiert. Nach wie vor grub er mit seinen Männern Schützengräben, das Grabensystem wurde ausgeweitet, speziell an der nördlichen Flanke der Linien. Jack irritierte das etwas, denn die Gegend dort war extrem schwierig, steinig und uneben. Ein Angriff wäre nur unter schwersten Verlusten möglich. Andererseits würden die Türken dort nie damit rechnen ...
»Irgendwann bestimmt, es soll auch noch Verstärkung kommen. Weitere Sanitätsbrigaden – man rechnet also mit viel Blut ...«
Commander Beeston streichelte seinen Hund.
»Manchmal frage ich mich, was ich hier mache ...«
Jack antwortete nicht, fand aber im Stillen, dass die Ärzte noch die beste Begründung hatten, an der Front zu sein. Sie linderten immerhin die Leiden der Verwundeten. Warum man allerdings kam, um sich verwunden zu lassen ... Er bereute seinen Entschluss längst, obwohl er sein Ziel durchaus ereicht hatte: Er dachte nicht mehr Tag und Nacht an Charlotte. Die Albträume, in denen er immer wieder Türken erschlug und im Blut der Schützengräben watete, hatten die bittersüßen Träume von seiner Frau verdrängt – und tagsüber dachte er vor allem ans Überleben. Der Krieg hatte ihn gelehrt, die Toten vielleicht nicht zu vergessen, aber doch ruhen zu lassen. Es war schlimm genug, dass sie ihn in seinen Albträumen heimsuchten.
Schon um sich abzulenken, fieberte er wie alle Männer nach Briefen aus der Heimat, nach Kontakt zu den Lebenden und etwas Normalität. Jack freute sich wie ein Kind, wenn seine Mutter schrieb und von Kiward Station berichtete. Auch Elizabeth Greenwood rang sich gelegentlich einen Brief ab, ebenso Elaine Lambert. Lediglich von Gloria gab es keine Nachricht, was Jack immer mehr beunruhigte. Gut, der Postweg in die Staaten war lang, und dann gingen die Briefe wohl auch noch an eine Agentur, die sie an die Musiker weiterschickte. Aber inzwischen war es weit mehr als ein halbes Jahr her, dass er Gloria die ersten Grüße und Berichte aus Ägypten geschickt hatte. Sie hätte längst antworten können.
Jack fühlte sich einsam, seit Roly an den Strand abkommandiert worden war. Zu den anderen Männern seines Platoons fand er keinen rechten Draht. Er war ihr geachteter Vorgesetzter, aber Freundschaften entwickelten sich nicht zwischen den Soldaten und ihrem Sergeant. Nach der Schlacht in den Gräben hatte man Jack erneut befördert. So blieb er abends meist allein und empfand sein Dasein als sinnlos. Die Ausflüge an den Strand boten da eine willkommene Abwechslung. Hier
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