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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Bank und starrte hinaus auf das ruhige Wasser der Bucht. Sie hatte sich so oft vorgestellt, wie sie jauchzen und jubilieren würde, wenn sie Neuseeland endlich erreichte, aber tatsächlich fühlte sie jetzt nichts in sich als Leere. Keine Verzweiflung mehr, keine Angst, kein Unglück. Aber auch keine Freude. Es war, als sei alles in ihr abgetötet und jede Energie aufgebraucht. Gloria hatte keine Idee, was sie tun könnte, aber es beunruhigte sie nicht. Sie würde einfach sitzen bleiben bis ... sie wusste es nicht.
    »Guten Abend, junge Dame. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Gloria schrak auf, als sie eine Männerstimme hinter sich hörte. Instinktiv wollte sie nach ihrem Messer tasten, aber dann wandte sie sich doch erst um. Ein Mann, aber in der Uniform eines Constablers.
    »Nein, ich ... ruhe mich nur aus ...«, stammelte Gloria.
    Der Constabler nickte, runzelte dabei jedoch die Stirn. »Sie ruhen sich jetzt seit zwei Stunden aus«, erklärte er mit Blick auf seine Taschenuhr. »Und langsam wird es dunkel. Wenn Sie also ein Ziel haben, sollten Sie sich beeilen. Und falls Sie kein Ziel haben, dann denken Sie sich bitte eins aus. Ansonsten müsste ich mir nämlich etwas einfallen lassen. Sie sehen nicht aus wie eine Hafendirne, aber es gehört zu meinen Aufgaben, junge Damen gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen zu lassen. Haben wir uns verstanden?«
    Gloria musterte den Mann etwas genauer. Er war im mittleren Alter, behäbig und wenig Furcht einflößend. Aber er hatte Recht. Auf der Bank im Hafen konnte sie nicht bleiben.
    »Wo gehören Sie denn hin, junge Frau?«, fragte der Polizist freundlich, als er ihren verwirrten Ausdruck sah.
    »Nach Kiward Station«, sagte Gloria. »Canterbury Plains, Haldon.«
    »Ach du lieber Gott!« Der Constabler verdrehte die Augen. »Da kommen Sie heute aber nicht mehr hin, Kind. Findet sich nicht irgendwas, das näher ist?«
    Gloria zuckte die Achseln. »Queenstown, Otago?«, fragte sie mechanisch. Dort lebten Lilians Großeltern. Gloria kannte sie allerdings nur von einem einzigen Besuch.
    Der Constabler lächelte. »Näher ist das schon, Mädchen, aber auch nicht gerade um die Ecke. Ich dachte jetzt an irgendeinen Ort, wo Sie heute vielleicht ein Bett finden. Wenn das schon in Port Chalmers nicht klappt – wie wär’s mit Dunedin?«
    Dunedin. Gloria hatte den Namen der Stadt tausendmal auf Briefumschläge gekritzelt. Natürlich kannte sie jemanden in Dunedin. Wenn sie nicht weggezogen war, eine andere Stelle angenommen oder geheiratet hatte. Es war lange her, seit sie Sarah Bleachum zum letzten Mal geschrieben hatte.
    »Princess Alice School for Girls?«, fragte sie leise.
    Der Constabler nickte. »Die gibt es!«, lobte er. »Liegt sogar zwischen der Innenstadt und Port Chalmers, ist also gar nicht so weit ...«
    »Wie weit?«, erkundigte sich Gloria.
    Der Polizist zuckte die Schultern. »Fünf Meilen«, riet er.
    Gloria nickte sachlich. »Gut, die kann ich laufen. Welche Richtung? Gibt es eine ausgebaute Straße?«
    Erneut löste sie Stirnrunzeln bei ihrem Gegenüber aus. »Sagen Sie, Kleine, wo kommen Sie denn her? Direkt aus der Wildnis? Selbstverständlich gibt es ausgebaute Straßen rund um Dunedin – und eine Eisenbahnlinie, garantiert ist ein Halt in der Nähe der Schule. Allerdings dürfte der letzte Zug schon weg sein. Wir suchen Ihnen also eine Droschke. Einverstanden?«
    Gloria schüttelte den Kopf. »Ich hab kein Geld.«
    Der Polizist seufzte. »So ähnlich hatte ich mir das gedacht ... Sie sahen nach Schwierigkeiten aus ... Also denken wir jetzt mal zusammen nach. Wie kommen Sie auf die Mädchenschule? Ich meine, kennen Sie dort jemanden?«
    »Sarah Bleachum. Eine Lehrerin.« Gloria gab geduldig Auskunft. Sie verspürte immer noch nichts, weder Angst vor der Ordnungsmacht noch den Wunsch, in dieser Nacht irgendwo unterzukommen. Sarah Bleachum ... das war eine andere Welt.
    »Und wie heißen Sie?«, fragte der Constabler.
    Gloria nannte ihren Namen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie gesucht wurde – jetzt würde man sie nicht mehr aufs nächste Schiff nach Amerika verfrachten. Ihre Verwandten lebten zu nah.
    »Gut, Miss Martyn. Dann mache ich Ihnen folgenden Vorschlag. Hier um die Ecke ist das Polizeirevier – nun gucken Sie nicht so verschreckt, wir beißen nicht! Wenn Sie also nichts dagegen hätten, mich dorthin zu begleiten, könnten wir die Princess Alice School rasch anrufen. Wenn es dort wirklich eine Miss Bleachum gibt, der Sie ein bisschen am

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