Der Ruf der Kiwis
unterstützen! Sie hat sich immer für die Maori-Kultur interessiert!«
Das war nun allerdings das Erste, was Jack hörte. Gwyneira verstand sich im Allgemeinen gut mit den Maoris. Viele ihrer Bräuche und Einstellungen kamen ihrer praktischen Natur entgegen, und sie neigte nicht zu Vorurteilen. Aber eigentlich interessierte Jacks Mutter sich vor allem für Viehzucht und Hundeausbildung.
Elizabeth lächelte Jack zu.
»Du solltest die McKenzies nicht als Kulturbanausen darstellen«, wandte sie sich dann wieder an ihren Mann. »Schließlich kommt Miss Gwyn zu jeder Theateraufführung oder anderen kulturellen Ereignissen nach Christchurch ... Miss Gwyn ist eine Stütze der Gesellschaft, Charlotte!«
»Und hat Jenny nicht sogar ein Jahr auf der Farm gearbeitet?« Charlotte wandte sich an ihre Mutter.
Jack nickte eifrig. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Tatsächlich hatte die ältere Tochter der Greenwoods, Jennifer, ein Jahr auf Kiward Station verbracht, um die Kinder im Maori-Dorf zu unterrichten. So zumindest lautete der Vorwand ...
»Von ›arbeiten‹ kann da wohl nicht die Rede sein!«, brummte George Greenwood. Er mochte seine Töchter auf Reformschulen schicken und ihnen ein paar Jahre Studium erlauben. Eine ernsthafte Erwerbstätigkeit lag jedoch außerhalb seines Vorstellungsbereichs.
»Ja, natürlich!«, flötete dagegen Elizabeth. »Deine Schwester hat da ihren Mann kennen gelernt, Charlotte!«
Elizabeth warf ihrem Gatten vielsagende Blicke zu. Als der immer noch nicht verstand, richtete sie die Augen abwechselnd auf Jack und Charlotte.
Tatsächlich hatte Jennifer Greenwood ihren Mann Stephen bei Kura-maro-tinis Hochzeit kennen gelernt. Steve war Elaines älterer Bruder; nach Abschluss seines Jurastudiums hatte er einen Sommer lang auf Kiward Station ausgeholfen. Ein guter Grund für Jenny, sich dort ebenfalls einzufinden. Inzwischen arbeitete Stephen McKenzie als Firmenanwalt für Greenwood Enterprises.
George schien endlich zu begreifen.
»Natürlich steht einem Besuch Charlottes auf Kiward Station überhaupt nichts im Wege«, bemerkte er. »Ich nehme Sie mit, Charlotte, wenn ich das nächste Mal in die Plains fahre.«
Charlotte strahlte Jack an. »Ich freue mich, Jack!«
Jack meinte, sich in ihrem Blick zu verlieren. »Ich ... ich werde die Tage zählen ...«
4
Lilian Lambert zählte die Tage der Schiffsreise. Nach der ersten, aufregenden Zeit auf See hatte sie sich bald gelangweilt. Natürlich war es nett, wenn Delfine das Schiff begleiteten und gelegentlich riesige Barrakudas oder gar Wale zu sehen waren. Aber eigentlich interessierte Lilian sich mehr für Menschen, und da war die Besatzung der
Norfolk
wenig ergiebig. Es gab nur etwa zwanzig Passagiere, hauptsächlich ältere Leute, die ihre alte Heimat besuchten, sowie ein paar Geschäftsreisende. Letztere interessierten sich nicht für die Kinder; Erstere fanden Lilian zwar niedlich, aber besonderen Gesprächsstoff boten sie nicht.
Grandma Helens und Grandma Gwyns Berichte von ihrer Reise nach Neuseeland hatten prickelnde Aufbruchsatmosphäre heraufbeschworen – geprägt einerseits vom ersten Heimweh, andererseits von ängstlicher Vorfreude auf das, was die Passagiere am anderen Ende der Welt erwarten mochte. Davon war auf der
Norfolk
eindeutig nichts zu spüren. Und natürlich gab es auch kein von armen Einwanderern überfülltes Unterdeck. Die
Norfolk
hatte stattdessen ein Kühlsystem und transportierte Rinderhälften nach England. Die wenigen Passagiere reisten durchweg Erster Klasse. Das Essen war gut, die Unterbringung behaglich, doch die quirlige Lilian fühlte sich eingesperrt. Sie sehnte sich nach dem Ende der Reise und freute sich auf den Aufenthalt in London. Miss Bleachum sollte ein paar Tage mit ihren Zöglingen in der Hauptstadt verbringen und ihnen unter anderem Schuluniformen und weitere Garderobe anmessen lassen.
»Wenn ich sie hier in Christchurch ausstatten lasse, sind die Sachen schon aus der Mode, wenn sie in London ankommen«, hatte Gwyneira praktischerweise bemerkt. Sie selbst hatte sich nie viel aus Kleidung und Mode gemacht, aber sie wusste noch aus ihrer Mädchenzeit, wie viel Wert man in besseren englischen Kreisen auf diese Dinge legte. Gloria und Lilian sollten nicht hinterwäldlerisch wirken. Gerade die empfindsame Gloria würde den Spott ihrer Mitschülerinnen nicht gut vertragen.
Im Gegensatz zu Lilian genoss Gloria die Reise – sofern sie irgendetwas außerhalb von Kiward Station
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