Der Ruf der Kiwis
»Das versteht keiner. Schreiben Sie ›Sinnbild‹. Und sagen Sie mir endlich, wie Sie heißen. Ich kann Sie doch nicht ›Ben‹ rufen!«
7
In den nächsten Monaten schrieb Lilian Biller unter dem Kürzel BB über Schiffstaufen, Jahrestage des Vertrages von Waitangi, Tagungen der Holz verarbeitenden Industrie und Erweiterungsbauten der Universität. Zu Mr. Wilsons Begeisterung vermochte sie auch dem alltäglichsten Thema irgendwelche kurzweiligen Aspekte abzuringen. Sie fand dies auch persönlich so unterhaltsam, dass sie den Klavierunterricht mehr und mehr reduzierte. Grundsätzlich löste die Arbeit für den
Auckland Herold
aber nicht ihr Problem. Auch hier musste sie aus dem Haus, um Veranstaltungen zu besuchen und mit Menschen zu reden. Dabei machte die Schwangerschaft sie immer dicker und schwerfälliger. Mit Baby im Schlepptau würde es gar nicht mehr gehen – und dabei brauchte die junge Familie doch gerade dann mehr Geld.
Ben als Vertreter zu gewinnen war hoffnungslos. Ein leichter, humorvoller Schreibstil lag ihm nicht; Ben brauchte unweigerlich gewichtige Worte, neigte zu schwerfälligen Formulierungen und verzichtete nur bei wissenschaftlichen Texten auf eine gewisse Schwülstigkeit. Lilian war ratlos und klagte schließlich Thomas Wilson ihr Leid, als die Schwangerschaft sich absolut nicht mehr verbergen ließ.
»Mir passt überhaupt kein Kleid mehr! Ich kann unmöglich zum Empfang dieses Herzogs gehen. Und das wird demnächst noch viel schlimmer!«
Der Verleger überlegte kurz. Dann rieb er sich die Falte zwischen den Augen, die sich immer einstellte, wenn er angestrengt nachdachte.
»Wissen Sie was, Lilian? Was wir eigentlich brauchen – viel mehr als Berichte über den Besuch von Herzog Sowieso zwecks Einweihung von Gebäude Dingsbums –, wären ein paar nette kleine Geschichten. Irgendwas, das die Leute aufmuntert. Wir sind im dritten Kriegsjahr, wir füllen das Blatt mit Berichten von Schlachten und Verlusten. In den Straßen sehen wir die ›Helden von Gallipoli‹ an ihren Krücken, und die Jungs vom ANZAC verbluten in Frankreich und Palästina. Abgesehen von Rüstungsbedarf stagniert die Wirtschaft, die Menschen machen sich Sorgen. Nicht zu Unrecht, nebenbei, die Welt ist ein Schlachtfeld, und keiner versteht, warum. Da muss der Mann von der Straße doch befürchten, dass irgendwelche Irren demnächst auch hier angreifen. Jedenfalls ist die Stimmung gedrückt ...«
»Ja?«, fragte Lilian. Bislang war ihr das nicht aufgefallen. Von den wirtschaftlichen Sorgen abgesehen residierte sie mit Ben nach wie vor im siebten Himmel.
»Muss Liebe schön sein ...«, brummte Wilson. Er hatte seine kleine Redakteurin inzwischen etwas näher kennen gelernt und kannte zumindest grob ihre und Bens Geschichte.
Lilian nickte. »Ja!«, flötete sie.
Wilson lachte. »Also, was ich sagen wollte: Ich würde das Feuilleton gern um ein paar aufmunternde Geschichten erweitern. Kurzgeschichten, also keine Recherchearbeit, sondern reine Fantasie. Wobei es natürlich trotzdem authentisch klingen darf. Also keine ›zerfließenden Herzen‹ oder so was.«
Er drohte ihr mit dem Finger.
Lilian errötete.
»Was meinen Sie? Können Sie etwas in der Art schreiben?«
»Ich kann’s versuchen!«, erklärte Lilian – und hatte schon auf dem Nachhauseweg die erste Idee.
Zwei Tage später brachte sie Wilson die Geschichte einer Kinderkrankenschwester aus Hamilton, die jeden Sonntag den Überlandzug nahm, um ihre alte Mutter in Auckland zu besuchen. Sie tat das, seit die Zuglinie eröffnet worden war, und Lilian erging sich genüsslich in der Schilderung der Feierlichkeiten, bei der Graham Nelson, ein Schaffner, der jungen Frau zum ersten Mal begegnete. Von nun an sah er sie jede Woche im Zug, und beide verliebten sich ineinander, wagten aber nie, mehr als zwei Worte miteinander zu wechseln oder sich gar ihre Gefühle zu gestehen. Erst nach Jahren, als die Mutter starb und die Krankenschwester plötzlich nicht mehr erschien, raffte Nelson sich auf, sie zu suchen ... und natürlich endete alles mit einer Hochzeit. Lilian reicherte das Ganze durch Landschaftsbeschreibungen an, beschwor den Stolz Neuseelands auf seine Railway Companies und den Opfermut der Krankenschwester, die sich auch aus Liebe kaum von ihren kleinen Schützlingen im Krankenhaus trennen konnte.
Wilson verdrehte die Augen, druckte den Text aber gleich am nächsten Samstag. Seine Leserschaft, vor allem die weibliche, war darüber zu Tränen
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