Der Ruf der Kiwis
großzügig den Einsatz auf dem Feld.
Dennoch hätte Jack nicht überlebt, wenn ihn nicht gerade Roly gefunden hätte. Bei Schlachten wie dieser waren die Ressourcen begrenzt. Schon die Bergungstrupps entschieden, welcher der Verwundeten zu retten war und welchen man schweren Herzens liegen ließ. Lungenschüsse gehörten in die letzte Kategorie. Selbst wenn die Stabsärzte in Ruhe operieren konnten, überlebte nur ein kleiner Teil der Betroffenen. In der Hektik der Erstversorgung im Hintergrund einer Schlacht bestand praktisch keine Chance.
Roly mochte das jedoch nicht glauben. Obwohl seine Männer den Kopf schüttelten, bestand er darauf, Jack McKenzie auf eine Trage zu legen und außerhalb der Schusslinie zu bringen.
»Beeilt euch gefälligst!«, trieb er die Männer an. »Und nicht einfach im Schützengraben abladen, das hält nur auf. Er muss sofort auf den Tisch. Ich bringe ihn zum Strand ...«
Roly wusste, dass er seine Kompetenzen überschritt, aber es war ihm egal. Jack sollte leben – der junge Mann wusste sehr genau, wem er die Rettung vor dem Kriegsgericht verdankte. Also winkte er die Sanitäter mit Jacks Trage an der Notambulanz in einem der Versorgungsgräben vorbei, die erneut eine Auswahl traf. Nur wer reelle Überlebenschancen hatte, wurde direkt zum Strand gebracht. Um die anderen kümmerte man sich später, falls es dann noch nötig war. Roly und seine Leute reihten sich in den Strom der Sanitäter ein, die Tragen mit schreienden, stöhnenden oder bewusstlosen Männern durch die Gräben trugen. Vorbei an totenblassen jungen Soldaten, die in den Reservegräben auf ihren Einsatz warteten. Sie mussten inzwischen wissen, was ihnen bevorstand. Nur noch wenige lachten und scherzten.
»Hier könnt ihr ihn abstellen«, sagte Roly schwer atmend. Er hatte seine Männer zum Dauerlauf angetrieben, sobald sie das freie Land am Strand erreichten. Nun betraten sie endlich das Feldlazarett. Wieder eine Selektion: Hier bestimmten die Ärzte, wer als Erster auf den Operationstisch kam und bei wem es wenig Zweck hatte. Letzteres kam allerdings seltener vor. Wer es bis hier geschafft hatte, wurde im Allgemeinen auch verarztet.
Nur kaum mit einer Wunde wie Jack.
»Und dann haut ab, zurück zur Front. Ich komme nach. Aber ich muss Commander Beeston finden. Los ... worauf wartet ihr noch?«
Die Männer, halbe Jungs, sahen ihn müde an. Sie wären deutlich lieber geblieben, obwohl auch im Zelt ein Inferno herrschte. Es roch nach Pulver und Blut, Äther, Lysol und Exkrementen. Männer schrien und weinten, der Sand am Boden war blutdurchtränkt. Aber immerhin schoss hier niemand. Immerhin wurden hier keine neuen Körper zerfetzt.
»Geht jetzt!«, forderte Roly die Männer auf. »Und ... vielen Dank!« Die Träger erwachten langsam aus ihrer Starre und setzten sich erneut in Trab. Diesmal in die andere Richtung. Die Trage nahmen sie nicht mit. Umso besser. Es würde nur Zeit kosten, Jack auf eines der Feldbetten umzulagern.
Roly fühlte seinen Puls und wischte ihm das schaumige Blut vom Mund. Er lebte – aber nicht mehr lange, wenn nicht ein Wunder geschah.
»Ich bin gleich wieder da. Halten Sie durch, Mr. Jack!«
Roly ließ seinen Patienten nur ungern allein. Wenn ihn jetzt ein Arzt aussonderte und zum Sterben in irgendein Hospitalzelt legen ließ, würde er ihn in diesem Chaos nie wiederfinden. Aber es musste sein.
»Commander Beeston!« Roly lief suchend durch die Zelte.
Aber bevor er den Stabsarzt fand, entdeckte Paddy Jack.
Commander Beeston liebte seinen Hund, aber an Tagen wie diesem verlor er das Tier aus den Augen. Es gab keine Zeit, sich um das Wohlergehen des kleinen Mischlings Sorgen zu machen; oft fiel dem Arzt erst am Abend wieder ein, dass Paddy irgendwo stecken musste. Meist fand er ihn dann verängstigt in einer Ecke. Der Kampflärm erschreckte das Tier immer noch, und das Blut und die Hektik im Hospital taten das ihrige. Paddy lief ziellos durchs Lager, bekam ab und an einen Tritt ab, wenn er jemandem im Weg war, jaulte auf und verkroch sich anderswo. Bis er die Angst nicht mehr aushielt und sich doch wieder auf die Suche nach einer tröstenden Hand machte.
An diesem Tag war es besonders schlimm, denn das Hospital war praktisch nur von Fremden bevölkert. Da die Stammbelegschaft die Bergungstrupps bildete, arbeiteten nun Neuankömmlinge als Pfleger und Helfer der Ärzte – und keiner von ihnen hatte ein freundliches Wort für den kurzbeinigen kleinen Hund. Dr. Beeston operierte zudem
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