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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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seit Stunden, und ins Operationszelt ließ man Paddy nicht. Das Tierchen jaulte hilflos vor der Tür, schlich sich hinein, wurde erneut hinausgeworfen – und nahm dann endlich einen Geruch auf, den es kannte. Fiepend schmiegte Paddy sich an die Hand Jack McKenzies, die schlaff von der Trage hing. Paddys alter Freund machte zwar keine Anstalten, ihn zu streicheln, aber er war immerhin da. Allerdings war etwas nicht in Ordnung. Paddy roch Blut und Tod. Er setzte sich neben Jack und heulte herzzerreißend.
    »Was hat denn die Töle? Das ist ja nicht auszuhalten!« Einer der jungen Pfleger warf einen Blick auf Jack und wollte seine Uniformjacke öffnen, aber Paddy knurrte ihn an.
    »Noch schöner, jetzt will das Mistvieh auch noch beißen! Was denkt sich bloß der Commander, den hier rumlaufen zu lassen? Dr. Beeston!« Der junge Mann rief den Arzt an, der eben aus dem Operationsraum kam und sich müde umblickte. Eine unendliche Flut weiterer Fälle ... Dr. Beeston gab den Gedanken auf, zwischendurch einen Schluck Tee nehmen zu können.
    »Commander Beeston? Ihr Köter ... äh ...« Der junge Pfleger besann sich im letzten Moment darauf, dass der Stabsarzt ihn direkt an die Front schicken konnte, wenn er sich jetzt falsch ausdrückte. Er mochte keine Hunde, aber er war nicht lebensmüde. »Könnten Sie ... äh ... Ihren Hund entfernen? Er behindert unsere Arbeit.«
    Dr. Beeston kam irritiert näher. Bislang hatte er nie Klagen über Paddy gehört. Gut, er mochte mal im Weg gestanden haben, aber ...
    »Das Tier lässt mich nicht an den Verwundeten heran, Sir!«, meldete der Pfleger. »Ich konnte ...« Er griff erneut nach Jacks Jackenaufschlag, doch Paddy schnappte nach ihm.
    Dr. Beeston trat an die Trage. »Was soll das, Paddy? Aber warten Sie, das ist doch ...«
    Der Arzt erkannte Jack McKenzie und riss sein Hemd jetzt selbst auf.
    »Lungenverletzung, Sir!«, diagnostizierte der junge Corporal. »Mir ein Rätsel, wieso man ihn hergebracht hat. Das ist doch hoffnungslos ...«
    Dr. Beeston blitzte ihn an. »Vielen Dank für die fachmännische Stellungnahme, junger Mann!«, bemerkte er. »Sie müssen es ja wissen. Und nun in den OP mit dem Jungen! Aber schnell! Und behalten Sie Ihre Meinung für sich!«
     
    Roly geriet in Panik, als er Jack nicht mehr fand, nachdem er die Suche nach Dr. Beeston frustriert aufgegeben hatte. Nur Paddy hielt die Stellung und winselte, als er Roly sah.
    »Wo kann er denn nur sein, Paddy? Kannst du ihn nicht suchen? Mr. Jack? Unseren Mr. Jack? Du bist aber auch zu gar nichts nutze!«
    »Wen suchen Sie, Private?«, fragte der junge Corporal im Vorbeigehen. »Den Lungenschuss von drüben? Der ist im OP. Persönliche Anordnung von Beeston. Neuerdings entscheiden hier die Haustiere, wer dem Chef unter die Hände kommt ...«
    Roly kehrte nicht zurück an die Front. Er hatte ein schlechtes Gewissen, betäubte es aber damit, dass er sich immerhin im Hospital nützlich machte, bis Beeston seine Operation beendete. Schließlich entdeckte Dr. Pinter, ein anderer Stabsarzt, den erfahrenen Pfleger und kommandierte ihn an seinen Operationstisch ab. Dr. Pinter war Orthopäde. Bei ihm landeten die Männer mit von Handgranaten und Minen zerfetzten Gliedmaßen. Bei der fünfzehnten Amputation hörte Roly auf zu zählen. Als er mit dem dritten blutigen Sack voller zerrissener Gewebefetzen aus dem Hospital kam, fragte er auch nicht mehr nach Jack. Es kamen immer noch Verwundete nach. Niemand hier würde sich an einen bestimmten Mann erinnern. Jacks Schicksal lag nicht mehr in Rolys Hand. Er würde warten müssen, bis Ruhe einkehrte, und ihn dann suchen.
     
    Die Schüsse erstarben erst spät in der Nacht, und als Dr. Pinter endlich den letzten Verwundeten ins Hospitalzelt schickte, graute bereits wieder der Morgen.
    »Sie werden doch nicht weiter angreifen, oder?«, fragte der Arzt einen Captain. Der noch blutjunge Offizier trug den Arm in der Schlinge. Er blickte Dr. Pinter aus leeren Augen an.
    »Ich weiß nicht, Sir. Keiner weiß was. Major Hollander ist gestern gefallen, die Heeresleitung berät noch. Aber wenn Sie mich fragen, Sir ... die Schlacht ist verloren. Dieser ganze verdammte Strand ist verloren. Wenn die Generäle auch nur einen Funken Verstand haben, brechen sie das hier ab ...«
    Roly erwartete, dass der Arzt den jungen Offizier rügen würde, aber Dr. Pinter schüttelte nur den Kopf. »Reden Sie sich nicht um Kopf und Kragen, Captain!«, mahnte er sanft. »Beten Sie lieber ...«
     
    Die Gebete

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