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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Sohn des Häuptlings vor dem gesamten Stamm einen Korb zu bekommen. Nun war Gloria der Verlust ihres 
mana
 ziemlich gleichgültig – zumindest in Bezug darauf, wieder mit einem Mann das Bett zu teilen. Aber rücksichtslos war und blieb es. Tonga hatte kein Recht, für seinen Sohn um sie zu werben.
    »Ich ... äh ...« Wiremu suchte immer noch nach Worten.
    Gloria fand das langsam alarmierend. Natürlich gab es keine förmliche Ansprache zu diesem Problem, aber ein schlichtes »Nein, ich will nicht« oder, wenn es denn sein müsste, ein hinhaltendes »Gib uns Zeit« sollte Wiremu in ihren Augen sich doch abringen können.
    »Gloria, ich weiß, wir haben nie darüber gesprochen. Aber von mir aus ... ich würde es begrüßen ... also, ich würde dich gern ...«
    Gloria blickte ihn ungläubig an. Sie war wie erstarrt; all ihre Gefühle schienen plötzlich abgetötet. Und sie sah nichts mehr um sich herum, nur diesen Mann, dem sie vertraut hatte. Und der eben dabei war, sie zu verraten.
    »Wir könnten es ja nur pro forma tun ...«, flüsterte er ihr auf Englisch zu. »Wir müssen also die Hochzeitsnacht vor dem ganzen Stamm ...« Wiremu hatte genug 
pakeha
-Erziehung genossen, dass Letzteres auch ihm peinlich war.
    »Dann ist es also beschlossen!«, freute sich Tonga. »Wir werden es heute Nacht feiern. Gloria, man wird dich in diesem 
wharenui
 begrüßen wie eine Prinzessin ...« Der Häuptling strahlte.
    Wiremu trat unsicher von einem Bein aufs andere. Der 
pakeha
 in ihm erwartete das förmliche Jawort der Braut.
    Und wieder zerbrach etwas in Gloria. Rasend vor Zorn riss sie sich das Flachsband mit Wiremus 
hei-tiki
 vom Hals und warf es ihm vor die Füße.
    »Wiremu, du warst mein Freund! Du hast mir geschworen, mich niemals anzurühren! Du hast mir gesagt, ein Maori-Mädchen dürfe wählen. Und jetzt willst du mir vor dem ganzen Stamm beiliegen, ohne auch nur nach meiner Meinung zu fragen?« Gloria zog ihr Messer, obwohl niemand sie bedrohte. Sie musste den kalten Stahl einfach fühlen, brauchte etwas, um sich sicher zu fühlen. Dabei war das im Grunde lächerlich. Sie stand inmitten von Männern, die mit Speeren und Kriegsbeilen bewaffnet waren. Ritualwaffen natürlich, aber nichtsdestotrotz scharf.
    Gloria hätte sich in diesem Augenblick auch einer Armee entgegengestellt. Sie empfand keine Angst mehr, nur Wut, rasende Wut. Doch zum ersten Mal machte ihr Zorn sie nicht mehr sprachlos. Weder schwieg sie, noch schlug sie mit Worten um sich. Plötzlich wusste sie, was sie zu sagen hatte. Sie wusste, wer sie war.
    »Und du, Tonga, du meinst also, ich müsste meine Bindung an den Stamm festigen? Ich könnte nur Teil von diesem Land sein, wenn ich zu euch gehörte? Dann hört sie euch also an, meine 
pepeha!
 Glorias 
pepeha
 – nicht die der Tochter von Kura-maro-tini, nicht die der Enkelin von Gerald Warden. Nicht die der Maoris, nicht die der 
pakeha
.« Gloria stand aufrecht und wartete, bis alle Anwesenden sich um sie versammelt hatten. Inzwischen waren weitere Männer und Frauen eingetroffen und bevölkerten das 
wharenui
. Es hatte eine Zeit gegeben, da allein die Menge der Zuhörer Gloria die Stimme geraubt hätte. Aber darüber war sie längst hinaus. Die verschüchterte Schülerin von Oaks Garden gab es nicht mehr.
    »Ich bin Gloria, und der Bach, eine Meile südlich von hier, begrenzt das Land, das mich im Hier und Jetzt verankert. Die 
pakeha
 nennen es Kiward Station, und mich nennen sie Erbin. Aber dieses Mädchen Gloria hat keine 
tupuna
, keine Ahnen. Die Frau, die sich meine Mutter nennt, verkauft die Lieder ihres Volkes für Ruhm und Geld. Mein Vater gönnte mir niemals mein Land – vielleicht weil sein Vater ihn einst von dem seinen vertrieb. Meine Großväter kenne ich nicht, die Geschichte meiner Ahnen ist blutgetränkt. Aber ich, Gloria, bin mit der 
Niobe
 nach Aotearoa gekommen. Ich überquerte einen Ozean von Schmerz und reiste über einen Strom von Tränen. Ich landete an fremden Ufern, ich durchreiste ein Land, das meine Seele verbrannte. Aber ich bin hier. 
I nga wa o mua
 – die Zeit, die kommen wird und die vergangen ist – findet mich in dem Land zwischen dem See und dem Ring der Steinkrieger. In meinem Land, Tonga. Und wage es nie wieder, es mir streitig zu machen! Nicht mit Worten, nicht mit Taten, und ganz sicher nicht mit falschem Spiel!«
    Gloria blitzte den Häuptling an. Wenn die Ngai Tahu später von diesem Auftritt erzählten, berichteten sie von einer

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