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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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kastenförmigen Steinhäusern, und die Straßen sind enge Gassen. Das Leben und Treiben in der Stadt ist hektisch und laut, die Araber sind äußerst geschäftstüchtig. Bei Manövern folgt uns stets ein ganzer Schwarm weiß gekleideter Männer, die Erfrischungen anbieten. Die britischen Offiziere macht das verrückt, anscheinend befürchten sie, wir würden uns dann auch im Krieg darauf verlassen, dass stets ein Melonenverkäufer in der Nähe steht. In der Stadt versuchen uns die Einheimischen Altertümer zu verkaufen, die angeblich aus den Grabkammern der Pharaonen stammen. In Anbetracht der Menge ist das unwahrscheinlich, so viele Herrscher kann das Land gar nicht gehabt haben. Wir nehmen an, die Leute schnitzen die Götterstatuen und Sphinxe einfach selbst. Doch auch wenn sie echt wären – mir jagt es Schauer über den Rücken, die Toten zu berauben, so eigenartig die Sitte der Grabbeigaben auch ist. Manchmal denke ich an den kleinen Jadeanhänger, den Charlotte um den Hals trug. Ein
 hei-tiki
, geschnitzt von einer Maori-Frau. Sie sagte, er bringe ihr Glück. Als ich sie am Strand von Cape Reinga fand, hatte sie ihn nicht mehr. Vielleicht trägt er ihre Seele nach Hawaiki. Ich weiß nicht, warum ich Dir das alles erzähle, Gloria – anscheinend tut Ägypten mir nicht gut. Zu viel Tod um mich herum, zu viel Vergangenheit, auch wenn es diesmal nicht meine eigene ist. Aber wir werden demnächst verlegt. Es wird ernst. Sie wollen die Türken angreifen, am Eingang der Dardanellenstraße ...
     
    Gloria griff unwillkürlich nach ihrem eigenen 
hei-tiki
, aber dann erinnerte sie sich daran, es Wiremu vor die Füße geworfen zu haben. Besser so, sollte er ihre Maori-Seele sonst wohin tragen.
     
    ... Ich werde niemals den Strand vergessen, wie er dalag, im allerersten Morgenlicht. Eine kleine Bucht, umrahmt von Felsen, ideal für ein Picknick oder ein romantisches Beisammensein mit einer Frau, die man liebt. Und ich werde nie den Klang dieses ersten Schusses vergessen. Dabei habe ich seitdem Hunderttausende von Schüssen gehört. Aber dieser erste ... er brach den Frieden, zerstörte die Unschuld eines Ortes, auf den Gott bislang nur mit einem Lächeln geblickt haben konnte. Wir haben ihn dann in einen Ort verwandelt, an dem nur noch der Teufel lacht ...
     
    Gloria lächelte müde. Der Teufel hatte zweifellos viel Spaß auf dieser Welt.
    Plötzlich hatte sie keine Lust mehr, weiterzulesen. Aber sie verbarg die Briefe sorgfältig unter ihrer Wäsche. Sie gehörten ihr, kein anderer sollte sie finden – vor allem Jack nicht. Womöglich wäre es ihm nicht recht, wenn sie die Briefe jetzt noch las. Schließlich erzählte er nie etwas von seinen Erlebnissen am Strand von Gallipoli. Und zudem ... Jack hatte an eine andere Gloria geschrieben. Er musste eher ein Kind vor Augen gehabt haben, als er anschaulich schilderte, wie er auf Kamelen geritten war und große, schwere Männer gescholten hatte, weil sie sich von winzigen Eseln durch die Wüste tragen ließen. Andererseits schienen manche Sätze sich nur zu genau an die Frau zu richten, die Gloria heute war. Marama hätte wahrscheinlich gesagt, die Geister hätten Jacks Hand geführt ...
    Gloria legte sich hin, konnte aber nicht schlafen. Es war noch nicht dunkel, und sie starrte an die nun wieder kahlen Wände ihres Zimmers, von denen sie ihre Maori-Habseligkeiten gerissen hatte. Gloria stand auf und holte ihren alten Zeichenblock aus der hintersten Schrankecke. Als sie ihn aufschlug, starrte ihr eine kolorierte Weta entgegen. Gloria riss das Blatt heraus. Dann zeichnete sie den Teufel.
     

5
    »Du reitest nicht hinaus zum Viehtrieb?«, fragte Jack.
    Er hatte nicht damit gerechnet, Gloria am Frühstückstisch zu treffen. Die Viehtreiber waren schließlich s c h on v o r Ta u u nd Ta g au fg e b ro c h e n, u m d i e S c h a fe im Hochland zu sammeln und einzutreiben. Fast vier Wochen früher als gewöhnlich; dem nassen, unfreundlichen Sommer war ein ebenso regenreicher, kalter Herbst gefolgt. Gwyneira hatte Angst, zu viele Tiere zu verlieren, und fürchtete zudem einen frühen Wintereinbruch. Wenn es in den Bergen ernsthaft stürmte und schneite, war auch der Ritt ins Voralpenland gefährlich. Ganz abgesehen davon, dass die Tiere im Schneetreiben schwer zu finden waren.
    »Ganz allein mit einer Horde wilder Kerle?«, fragte Gloria mürrisch zurück.
    Jack biss sich auf die Lippen. Natürlich konnte man Gloria nicht mit den Viehtreibern ins Hochland schicken.

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