Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
Vielleicht, wenn er selbst ebenfalls mitgeritten wäre. Er blickte zu seiner Mutter hinüber und sah den stummen Vorwurf in ihren Augen. Für Gwyneira war seine Weigerung Drückebergerei – genau wie für die 
pakeha
-Viehhüter. Was die Maoris dachten, wusste keiner. Aber seine Mutter und ihre Männer nahmen ihm seine anhaltende Schwäche nicht ab. Er war gesund. Wenn er wollte, konnte er reiten. Und Jack wusste das ja auch selbst. Aber er konnte den Gedanken an die Zelte nicht ertragen, die Lagerfeuer, die großsprecherischen Reden der Männer. Das alles würde nur Erinnerungen an all die lachenden, angeberischen Jungs wachrufen, die dann in Gallipoli gestorben waren. Und ein bisschen auch an Charlotte, die ein- oder zweimal mit zum Viehtrieb geritten war und den Küchenwagen betreut hatte. Sie hatten sich ein Zelt geteilt, sich früh zurückgezogen und Arm in Arm gelegen, während der Regen aufs Zelt pladderte oder der Mond so hell schien, dass er das Innere der Behelfsunterkunft erhellte. Jetzt würde er stattdessen träumen, endlose Albträume von Blut und Tod.
    Immerhin schien ihm wenigstens Gloria keine Vorwürfe zu machen. Sie hatte seine Ausreden gleichmütig hingenommen. Anscheinend war es ihr völlig egal, ob er sich auf der Farm nützlich machte oder nicht.
     
    Tatsächlich hatte Gloria keinen Gedanken an Jacks Teilnahme am Viehtrieb verschwendet. Sie hatte viel zu viel mit ihrem eigenen Dilemma zu tun. Seit sie von der Wanderung mit den Maoris zurück war, zeigte sie sich wieder in den Ställen und stellte sich zur Arbeit mit den Rindern und den auf der Farm verbliebenen Schafen zur Verfügung. Die Männer erwiesen sich jedoch als stur. Niemand gab ihr Aufgaben, niemand wies sie in irgendwelche Arbeiten ein, und zur Zusammenarbeit war erst recht keiner bereit. Gloria begriff ihre Wanderung mit den Maoris inzwischen als schweren Fehler. Und noch mehr ihre Rückkehr in der Kleidung der Eingeborenen. Den 
pakeha
 unter den Arbeitern galt dieser Aufzug als schamlos. Sie kicherten heute noch hinter Glorias Rücken und nannten sie »Häuptlingsbraut« oder »Pocahontas«. Respekt von ihnen konnte sie nicht mehr erwarten. Ihre Anweisungen wurden nicht befolgt, Fragen höchstens knapp oder ironisch beantwortet. Bestenfalls speisten die Männer sie mit einem kurzen »Ja, Miss Gloria« oder »Nein, Miss Gloria« ab und wandten sich dann an Maaka oder Gwyneira. Schlimmstenfalls sahen sie einfach über das Mädchen hinweg oder verspotteten es offen.
    Die Maori-Viehhüter waren nicht viel besser. Sie hatten zwar Respekt vor Gloria gewonnen – Reden wie die im 
wharenui
 beeindruckten den Stamm –, doch hielten die Männer sie gezielt auf Abstand. Passiver Widerstand gegen ihren oft übereifrigen Häuptling Tonga war eine Sache, aber ihn anzuschreien und seinem Sohn Götterstatuen vor die Füße zu werfen ging eindeutig zu weit. Für die Maoris aus Tongas Stamm war Gloria 
tapu
, wobei sie nicht wusste, ob sie dazu erklärt worden war oder ob es sich einfach so ergeben hatte. Man ging ihr aus dem Weg.
    Doch Gloria war die Ächtung durch andere Menschen gewöhnt. Sie ließ sich nicht davon beirren und blickte unbeirrt geradeaus, wenn man sie wieder einmal übersah oder eine Anweisung ignorierte. Allerdings nagte es an ihr, und es fiel ihr auch nicht immer leicht, sich selbst Beschäftigungen auszudenken. Manchmal ritt sie stundenlang spazieren oder versuchte, die Welpen auf dem Hof zu trainieren. Aber darin war sie nicht mehr geübt. Sie machte Fehler und hörte die Männer lachen, wenn ein kleiner Collie nicht parierte. Mit jungen Pferden ging es ihr ähnlich. Sie verfluchte die Jahre, die sie in England mit dem Studium brotloser Künste verplempert hatte, statt die Farmarbeit von der Pike auf zu lernen.
    Immer öfter verbrachte sie somit auch nicht den ganzen Tag draußen, sondern zog sich spätestens am Nachmittag zurück in ihr Zimmer. Meist öffnete sie dann einen von Jacks alten Briefen und versank in seinen Schilderungen des Krieges.
     
    Wir graben uns ein. Du solltest das Schützengrabensystem sehen, das hier entsteht! Es ist fast wie eine unterirdische Stadt. Die Türken gegenüber tun das Gleiche, man könnte verrückt werden, wenn man darüber nachdenkt. Da sitzen wir nun, belauern einander und hoffen darauf, dass ein Dummkopf auf der anderen Seite zu neugierig wird und hinüberspäht. Dem blasen wir dann den Schädel weg – als ob das irgendetwas am Kriegsverlauf änderte. Ein paar klügere

Weitere Kostenlose Bücher