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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Wangenknochen, die Kura-maro-tini ihre außergewöhnliche Schönheit verliehen, aber auch die flächige Gesichtsform und die breite Nase ihrer Maori-Ahnen. Glorias Haut war gebräunt nach dem langen Sommer im Lager, ein reizvoller Kontrast zu ihren hellen Augen. Ihr kantiges Kinn gab ihren Zügen etwas Entschlossenes, das in den meisten Gesichtern der Eingeborenen fehlte. Ihr krauses Haar befreite sich aus dem Stirnband. Auch dies eindeutig 
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-Erbe; Jack hatte solches Haar niemals bei einer Maori-Frau gesehen. In Glorias Erscheinung verbanden sich die beiden Rassen nicht zu einem traumschönen Ganzen wie bei Kura, eher schienen sie um die Vorherrschaft zu ringen. Und in Glorias Augen stand ein seltsamer Ausdruck. So alt wie die Welt – und trotzdem aufrührerisch, kämpferisch jung.
    »Willst du denn nun mitkommen?«, fragte er schließlich.
    Gloria nickte. »Ich war auf dem Weg.«
    »In diesem Aufzug?« Jack wies auf die Maori-Tracht. »Ich meine ... verstehe mich nicht falsch, du siehst wunderschön aus, aber ...«
    »Ich werde mich zu Hause umziehen.«
    Gloria machte sich entschlossen auf den Weg.
    »Willst du nicht mit mir reiten?«, fragte Jack – und war sich gleich des Ungeschicks seiner Worte bewusst. Gloria war kein Kind mehr, das er hinter sich auf der Kruppe des Pferdes sitzen ließ. Erst recht nicht mit nackten Beinen und in diesem kurzen Röckchen.
    Dennoch hatte ihn nichts auf diesen wilden, fast panischen Blick vorbereitet, mit dem Gloria sein Ansinnen quittierte. Sie schien etwas sagen zu wollen, biss sich dann aber auf die Lippen.
    Schließlich besann sie sich.
    »Das ... wäre nicht schicklich.«
    Jack unterdrückte ein bitteres Lachen. Die alte Gloria hatte nie danach gefragt, was sich für ein Mädchen gehörte. Und diese neue, andere Gloria ... Das Wort »schicklich« klang, als habe sie mühsam die richtige Vokabel in einer fremden Sprache gesucht.
    »Dann reite allein«, meinte er. »Im Damensitz. Du kannst das doch noch, oder?«
    Gloria warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Wer nicht mehr reiten kann, ist tot«, sagte sie dann.
    Jack lächelte und gab ihr Anwyls Zügel.
    »Aber ich weiß nicht, ob ich es noch kann.« Jack trat an Anwyls Seite. Es war Jahre her, seit er einer Dame der Etikette gemäß in den Sattel geholfen hatte.
    Gloria schien sich auch zunächst wehren zu wollen; dann aber brach entweder ihre Erziehung durch, oder sie erkannte, dass ihr Röckchen die Beine bis zum Schritt entblößen würde, wenn sie jetzt erst den linken Fuß in den Steigbügel stellte und dann die komplizierten Bewegungen ausführte, die das Aufsteigen in den Seitsitz ohne Hilfe eines Kavaliers erforderte.
    So legte sie nur die Hände auf den Sattelknauf, hob vorsichtig, fast geziert das rechte Knie und erlaubte Jack, sie mit einem Schwung in den Sattel zu heben.
    Das letzte Mal hatte er Charlotte so aufs Pferd geholfen. Sie war leicht wie eine Feder gewesen. Aber er hatte sie wirklich heben müssen; sie selbst hatte nichts dazu getan, auf das Pferd zu steigen. Gloria dagegen stieß sich mit dem rechten Bein ab und erleichterte ihm die Arbeit. Sie glitt fast anmutig in den Sattel und bemühte sich dann, einen halbwegs festen Sitz zu finden. In einem Damensattel hielten ein oder zwei »Hörner« das rechte und oft auch das linke Bein in Position. Hier musste Gloria das Gleichgewicht finden, doch es gelang ihr mühelos. Aufrecht und selbstbewusst saß sie auf dem Pferd.
    »Wie eine Maori-Prinzessin«, lächelte Jack.
    Gloria blitzte ihn an. »Maori-Prinzessinnen gingen zu Fuß.«
    Jack ließ die Erwiderung unkommentiert. Er wartete, bis Gloria die Zügel aufgenommen hatte, und ging dann neben ihr her. Der Weg war weit, aber Jack fühlte sich nicht müde. Im Gegenteil, er fühlte sich so lebendig wie seit langem nicht.
    »Du hast ein Pferd auf Kiward Station«, sagte er schließlich. »Wirst du es jetzt wieder reiten?«
    »Sicher«, meinte Gloria.
    Das klang nicht danach, als habe sie vor, sich weiterhin den Ngai Tahu anzuschließen. Jack überlegte, ob er nach Wiremu fragen sollte, ließ es dann aber. Hinter ihnen raschelte es im Buschwerk. Jack erschrak, wirbelte verteidigungsbereit herum – und bemerkte, dass Gloria genauso reagierte. Beide lachten beklommen, als lediglich Nimue aus dem Schatten brach. Sie hatte den Aufbruch ihrer Besitzerin wohl erst etwas verspätet registriert, war ihr jetzt aber gefolgt. Enthusiastisch begrüßte sie Jack, etwas weniger begeistert Tuesday.
    Jack und Gloria

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