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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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wie ich gehört habe ... Stimmt es, dass sie deinen Sohn nicht heiraten wollte? Die Erbin von Kiward Station?«
    Tonga richtete sich zu voller Größe auf und machte Anstalten, sich umzuwenden. »Über das Erbe von Kiward Station ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Bislang hat Ihre Gloria schließlich auch noch keinen 
pakeha
 erwählt. Wer weiß, was die Zukunft bringt?«
    Gwyneira seufzte. »Das ist nun endlich mal ein Satz, dem ich unbeschränkt zustimmen kann. Also warten wir ab, Tonga, und hören wir auf, Pläne zu schmieden. Soweit ich weiß, raten dazu auch all eure Geister. Ich kümmere mich um die Schafe.«
    Tonga war entlassen. Aber er ging nicht, ohne das letzte Wort zu haben.
    »Das hoffe ich, Miss Gwyn. Denn bevor die Sache nicht bereinigt ist, wird sich kein Mann der Ngai Tahu auf Kiward Station sehen lassen. Wir werden unser eigenes Vieh füttern und unsere eigenen Felder bestellen.«
    Er führte seine Delegation stolz durch den Hauptausgang des Herrenhauses.
    Gwyneira rief nach Gloria.
     
    »Es ist ganz egal, welche Absichten ihr hattet und was genau nun 
tapu
 ist!«, sagte Gwyneira zornig, während Gloria und Jack wie gescholtene Kinder vor ihr standen. Beide schämten sich ihrer unterwürfigen Haltung, aber wenn Gwyneira es darauf anlegte, konnte sie immer noch Funken sprühen. »Ihr durftet meine Anweisungen nicht einfach ignorieren! Tonga ist hier aufgetaucht, und ich wusste von nichts! Was hätte ich ihm sagen sollen?«
    »Dass du in einer Notlage kurzfristig von einem unter ganz anderen Bedingungen gegebenen Versprechen abrücken musstest«, erklärte Jack. »Es tut dir leid, aber es ist dein Recht.«
    »Ich bin nicht davon abgerückt!«, sagte Gwyneira würdevoll.
    »Aber deine Enkelin und Erbin. Nach Absprache mit der örtlichen Geisterbevollmächtigten, wenn ich das mal so sagen darf. Rongo Rongo hat ihren Segen gegeben ...«
    »Es geht hier nicht um Rongo Rongos Segen, sondern um meinen!«, beschied Gwyneira ihm. »Gloria hat keinerlei Weisungsbefugnis. Und du hast auf deine Stellung als Vormann verzichtet, Jack! Also versuch nicht, mir etwas vorzuschreiben! Morgen treibt ihr mir die Schafe ins Hochland! Oder nein, ihr zwei bleibt zu Hause. Wer weiß, was euch noch alles einfällt ...«
    »Stubenarrest, Grandma Gwyn?«, fragte Gloria frech.
    Gwyneira sah sie böse an. »Wenn du es so nennen willst. Du benimmst dich wie ein kleines Mädchen. Also beschwer dich nicht, wenn man dich auch so behandelt.«
     
    »Wir hätten es anders angehen sollen«, meinte Jack, als die beiden hilflos zusahen, wie Maaka und die verbliebenen 
pakeha
-Viehhirten die Schafe zuerst sammelten und dann nach Westen trieben. »Sie hat nicht ganz Unrecht. Wir hätten es offen handhaben sollen.«
    Gloria zuckte die Schultern. »Sie hat Unrecht. Und es geht ihr gar nicht mehr um die Schafe und die 
tapu
 und all das. Es lief doch genau so, wie wir es geplant hatten. Der angebliche Frevel war längst geschehen, das Land war nicht mehr unberührt. Und wenn Tonga uns nun keine Arbeiter mehr schicken wollte ... tja, dann hätten wir eben auch nicht die Leute gehabt, die Schafe aus dem 
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 zu treiben. Grandma Gwyn hätte ihn an seinem eigenen Strick hängen können. Aber das wollte sie gar nicht. Sie wollte nicht Tonga hängen, sondern mich!«
     
    Gwyneira fragte sich, wie alles so aus dem Ruder hatte laufen können. Sie liebte Gloria mit jeder Faser ihres Herzens, und trotzdem konnte sie nur mit ihr streiten. Aber sie ertrug den Hass in den Augen des Mädchens einfach nicht – und den verkniffenen Gesichtsausdruck, der sie an ihren Sohn Paul erinnerte. Immer mehr und häufiger, je älter sie wurde. Früher war das anders gewesen. Da hatte sie oft auch Maramas sanften Ausdruck in Glorias Zügen gesehen.
    Gwyneira hatte es an diesem Tag nicht im Haus ausgehalten. Dort verschanzten sich schließlich Gloria und Jack in ihren jeweiligen Räumen, und zu allem Überfluss trug Jack einen Karton nach dem anderen herunter, gefüllt mit Kleidern und persönlichen Besitztümern von Charlotte McKenzie Greenwood. Gwyneira erinnerte das schmerzlich an die Zeit, als Jack und Charlotte hier glücklich gewesen waren, als Lachen das Haus erfüllt hatte und die Hoffnung auf Enkelkinder. Aber jetzt gab es nur noch Trauer und Ärger. Gwyneira wanderte durch die verwaisten Ställe und Schafpferche. Die Männer waren sämtlich im Hochland; nur die Hand voll 
pakeha
 waren ihr geblieben, die sich feixend um Frank Wilkenson

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