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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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hinuntergaloppieren. Sie hatte sich nie zuvor beim Reiten gefürchtet, aber jetzt starb sie fast vor Angst. Ceredwen durfte davon natürlich nichts merken. Gloria vertraute auf die Trittsicherheit der Stute, hielt aber sicheren Zügelkontakt, um dem Pferd so viel Halt und Hilfe wie möglich zu geben. Manchmal rutschte das Tier auf dem Geröll aus, und Gloria hatte das Gefühl, ihr Herz bliebe stehen. Doch Ceredwen fing sich immer wieder. Geschickt wie eine Katze sprang sie über Felsvorsprünge und warf sich um enge Kehren. Weiter unten im Alpenvorland regnete es inzwischen in Strömen, doch es schneite noch nicht. Gloria ritt dem Sturm davon. Er hatte noch längst nicht seine volle Stärke erreicht, obwohl er bereits an den kargen Bäumen zerrte, die in dieser Höhe wuchsen. Gloria erschrak, als neben ihr ein Ast abbrach und durch die Luft geschleudert wurde. Ceredwen nahm das zum Anlass, noch weiter zu beschleunigen. Zumindest schien sie keine Zweifel daran zu hegen, wohin der Weg ging, und auch Nimue und Kuri zogen jetzt in die gleiche Richtung. Gloria atmete auf, als sie unter sich den Talkessel liegen sah, in dem sie am Tag zuvor ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Jetzt war er voller Schafe. Die Männer hatten im Laufe des Tages Tausende zusammengetrieben.
    Gloria versuchte, das Lager auszuspähen, und erkannte einige der Männer. Wie es aussah, waren alle Viehtreiber zurückgekehrt und brachen eben die Zelte ab. Die nassen Planen legten sie flüchtig zusammen; offensichtlich war höchste Eile befohlen.
    Gloria suchte nach Jack und erkannte ihn schließlich an einem der Feuer. Er saß an seinen Sattel gelehnt, eine Decke um die Schulter, und gab offensichtlich Anweisungen. Ab und zu blickte er nervös nach Westen. Gloria biss sich auf die Lippen. Er musste noch krank sein, wenn er die Männer arbeiten ließ, statt ihnen zu helfen. Hoffentlich konnte er reiten ...
    Ceredwen kämpfte ungeduldig mit den Zügeln, doch Gloria ließ sie nicht ins Lager rennen, sondern in ruhigem Tempo zwischen die Schafe treten. Schließlich saß Gloria ab und führte die Stute zwischen den letzten Tieren durch. Jacks blasses Gesicht erhellte sich, als er sie sah. Ein wenig mühsam stand er auf und ging ihr entgegen.
    »Gloria, o Gott, Gloria! Ich wäre erst heruntergeritten, wenn ich dich gefunden hätte!« Jack zog das Mädchen in die Arme, und Gloria verspürte plötzlich eine bleierne Müdigkeit. Sie hätte sich am liebsten fallen lassen. Sie sehnte sich nach Jacks Wärme in der Nacht im Zelt.
    Aber dann schob sie ihn von sich. »Nicht nach unten ...«, sagte sie atemlos. »Rauf, nach Westen. Ich weiß, es klingt verrückt, aber da ist ein Tal ...«
    »Aber das ist 
tapu
«, bemerkte Wiremu.
    Jack warf ihm einen strengen Blick zu. »Maori-Hokuspokus?«, fragte er.
    Wiremu senkte die Augen.
    »Ich wollte zur Schutzhütte runter ...«, erklärte Jack unschlüssig. »Ich hab Hori und Carter schon heute Mittag mit einem Teil der Schafe auf den Weg geschickt.«
    »Die dürften wohl auch ankommen, ehe es richtig losgeht. Aber wir doch nicht, Jack! Das ist ein Tagesritt. Bei den Höhlen sind wir in einer oder zwei Stunden.«
    Sie wollte »Vertrau mir!« sagen, aber sie tat es nicht.
    Jack überlegte kurz. Dann nickte er.
    »Wir folgen Gloria«, bestimmte er, an die Männer gewandt. »Beeilt euch, wir müssen schneller sein als der Sturm.«
    »Aber wir reiten dem Sturm entgegen«, gab einer der 
pakeha
 zu bedenken.
    »Umso schneller sollten wir reiten.«
    Wiremu brachte Jack sein Pferd.
    Gloria wandte sich an den jungen Maori, während Jack aufstieg. »Schafft er das?«
    Wiremu zuckte die Schultern. »Er muss es schaffen. Egal ob nach oben oder nach unten, hierbleiben kann er auf keinen Fall. Auf offenem Gelände wären wir verloren. Das ist nicht bloß ein Sturm, es ist ein Orkan. Und er zog ganz plötzlich auf ...«
    »Die Nebel hatten ihn verdeckt«, rief Gloria gegen den Wind an. »Jetzt kommt, ich reite vor. Die unsicheren Reiter sollen sich gut festhalten! Es wird schnell, und der Weg ist uneben. Aber nicht sehr gefährlich, bis auf ein oder zwei Stellen.«
    Es war unwahrscheinlich, dass die neugeborenen Lämmer das flotte Tempo mithalten konnten, aber darauf konnten sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Gloria blutete das Herz, wenn sie an die blökenden Winzlinge dachte, aber so würden sie wenigstens die Mutterschafe retten. Sie versuchte, zumindest die ersten Meilen bergauf im Galopp anzugehen, denn das Gelände war hier noch

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