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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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nicht sehr schwierig. Doch trotz aller Eile kamen sie nicht so schnell vorwärts, wie Gloria gehofft hatte. Die Pferde, selbst Ceredwen, scheuten vor jeder Kleinigkeit. Sie wollten nicht ins Dunkel. Ihr Instinkt riet ihnen, vor dem Sturm zu fliehen. Den Schafen ging es genauso, und die Hunde leisteten Schwerstarbeit.
    Das Wetter wurde schlechter und schlechter. Der Regen wich zuerst Schneefall, und bald darauf prasselten Hagelkörner nieder, sie trafen ihre Gesichter wie Pfeile. Gloria sah sich besorgt nach Jack und den unsicheren Reitern aus dem Maori-Dorf um. Letztere hielten sich tapfer und klammerten sich wie Äffchen an die Mähnen ihrer geduldigen Pferde. Jack dagegen wirkte völlig erschöpft. Gloria überlegte, ob sie anhalten und sich um ihn kümmern sollte, aber dann nahm sie sich zusammen und trieb Ceredwen weiter vorwärts. Jack musste zurechtkommen. Eine andere Möglichkeit, die Felsenfestung zu erreichen, gab es nicht.
    Jack ritt tief über Anwyls Hals gebeugt, zusammengekrümmt und einen Schal vors Gesicht geschlungen, um sich so weit wie möglich vor dem Wetter zu schützen. Seine Lungen brannten, und er dankte dem Himmel für jeden Felsen, den sie passierten und der ihnen ein bisschen Schutz bot. Dazu haderte er mit seiner Entscheidung für Glorias Vorschlag. Wenn das hier schiefging, wenn der schwerste Sturm sie hier auf dem Weg erwischte ... Sie würden alle sterben.
    Gloria selbst ging es natürlich nicht anders. Auch sie machte sich immer größere Sorgen, je schlimmer der Sturm wütete und je langsamer sie vorwärtskamen. Der Abstieg war ihr kurz erschienen; der Aufstieg jedoch dehnte sich scheinbar zu Stunden. Die Mäntel der Reiter waren längst von Schnee und Eis bedeckt, doch Gloria fand gar keine Zeit zu frieren. Sie war fieberhaft bemüht, den richtigen Weg zu finden, obwohl ihr der Schnee fast völlig die Sicht nahm. Immerhin schien Kuri zu wissen, wo er war und vor allem, wohin er wollte. Das Mädchen klammerte sich an die Leine, mit der sie Riharis kleinen Mischling daran hinderte, allein davonzustürmen. Sie hoffte bloß, dass der Hund sie nicht über lebensgefährliche Pfade führte. Wenn er auf direktem Weg zu seinem Herrn wollte, käme er sicher auch über Pässe, die für Pferde und Schafe unpassierbar waren.
    Plötzlich schrien die Männer hinter Gloria auf. Der Knall eines Schusses übertönte das Tosen des Sturmes. Nun sahen sie auch einen schwachen Lichtblitz hinter dem Schneevorhang. Rihari feuerte Leuchtpatronen ab. Sie kamen dem Versteck näher. Es wurde höchste Zeit. Die Pferde stemmten sich mit aller Kraft gegen den Sturm, die Hunde hielten sich im Windschatten der Schafherde, die Reiter folgten den Tieren nahezu blind. Der Sturm wirbelte Schneeflocken vermischt mit Eisregen vor sich her, und die Gefährten mussten ihre Gesichter davor schützen. Sie konnten nur noch den Pferden vertrauen, deren lange Stirnschöpfe längst eisverkrustet waren. Als Anwyl stolperte und sich nur mühsam wieder aufrichten konnte, war Jack nahe daran, Halt zu befehlen. Er überlegte, dass sie vielleicht durchkommen konnten, wenn sie sich alle aneinanderschmiegten. Er hatte von einem Mann in Island gelesen, der einen Sturm überlebt hatte, indem er sein Pferd tötete, ihm den Leib aufschnitt und sich in die warmen Eingeweide presste. Aber so etwas zu befehlen, das wusste Jack, brächte er nicht über sich. Dann lieber sterben.
    Gott verstieß wieder einmal gegen die Regeln. Eins musste man ihm jedoch lassen: Er hatte immer neue Einfälle. Jack klammerte sich an seinen Galgenhumor und hielt Anwyls Zügel eisern fest. Und dann hörte er Kuri vor sich aufjaulen.
    »Da ist es«, schrie Gloria gegen den Sturm an. »Da ist das Tor! Seht ihr die Felsen? Daran entlangreiten, gleich kommt eine Öffnung!«
    Der Hund zog sie selbst bereits hindurch. Sie ließ die Leine fallen. Kuri rannte bellend zu seinem Herrn. Die Männer und ihre Tiere drängten ins Tal.
     
    Rihari hatte natürlich nicht vor dem Talkessel gewartet. Als Regen und Schnee unerträglich wurden, hatte er die Götter um Verzeihung gebeten und sich zu seinen Schafen und seinem Pferd gesellt. Wenn man tief genug in die Auswaschungen vordrang, konnte man ein Feuer anzünden. Rihari zögerte zuerst, dachte dann aber an Gloria, die durchgefrorenen Männer vom Viehtrieb und den kranken Jack. Wenn die Geister ihnen zürnten, waren sie so oder so verloren. Rihari sammelte Reisig und trockenes Gras, das der Wind unter die Felsen geweht hatte.

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