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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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zwischen Ernst und Neckerei.
    Gloria zuckte die Schultern. »Wenn ich alle Feiglinge auf dieser Welt hassen würde ...« Dann ging sie hinaus.
     
    Jack blieb liegen und empfand abwechselnd Stolz auf Gloria und Angst um sie. Die Bergpässe waren nicht ungefährlich, gerade bei einem plötzlichen Wintereinbruch. Aber dann kam Wiremu herüber, und Jack fand kaum noch Zeit, sich Gedanken zu machen. Der junge Maori entzündete ein Feuer vor dem Zelt, erhitzte Steine darin und legte sie um Jack, um ihn zu wärmen. Kurze Zeit später war er in Schweiß gebadet. Wiremu legte Kräuterumschläge auf seine Brust und ließ ihn heiße Dämpfe inhalieren.
    »Deine Lunge war verletzt«, sagte er nach kurzer Inspektion der Narben. »Eine Menge Lungengewebe ist zerstört, ein Wunder, dass du das überlebt hast. Der rechte Lungenflügel muss vernarbt sein. Das Organ kann nicht mehr so viel Sauerstoff aufnehmen wie normal, deshalb wirst du schnell müde und hast wenig Kraft.«
    Jack hatte das Gefühl, als ob die Kräuter ihm die Lunge verbrannten. »Und das heißt ...?«, keuchte er. »Sollte ich besser im Haus bleiben wie ... wie ein Mädchen?«
    Wiremu grinste. »Die Mädchen der Wardens neigen nicht dazu, im Haus zu bleiben«, bemerkte er. »Und für dich ist es auch nicht gut. Die normale Farmarbeit ist kein Problem. Aber schwere körperliche Anstrengungen bei einem Wetter wie gestern solltest du meiden. Und du musst mehr essen. Du bist zu dünn.«
    Wiremu flößte ihm Tee ein und immer wieder Glorias Rongoa-Sirup.
    »Er ist sehr wirksam. Aber das glaubt keiner, der den Hokuspokus drumherum sieht. Bevor Rongo die Blüten erntet, führt sie erst mal drei Tänze auf ...« Wiremus Stimme klang abwertend. Er hatte der Maori-Medizin abgeschworen, nur um dann erkennen zu müssen, dass die 
pakeha
-Medizin ihn nicht wollte.
    »Sie zeigt der Pflanze damit ihre Wertschätzung«, bemerkte Jack. »Was ist daran schlecht? Viele 
pakeha
 sprechen ein Gebet, bevor sie Brot brechen. Im Internat musstest du das auch.«
    Wiremu grinste wieder. »
pakeha
-Hokuspokus.«
    »Wiremu ... was hat Gloria gesagt?«, fragte Jack unvermittelt. »Damals im 
marae
. Zu Tonga. Ich habe von Weitem gesehen, dass sie ihm irgendwas ins Gesicht schleuderte, aber ich konnte nicht hören, was es war.«
    Wiremu errötete. »Es war ihre 
pepeha
, die Vorstellung ihrer Person im Stamm. Weißt du, wie das geht?«
    Jack zuckte die Schultern. »Nur ungefähr. So was wie ›Tag, ich bin Jack, meine Mutter ist mit der 
Dublin
 nach Aotearoa gekommen ...‹«
    »Man nennt im Allgemeinen erst das Kanu, mit dem die Vorväter des Vaters kamen«, korrigierte Wiremu. »Aber das ist nicht so wichtig, wichtiger ist die Bedeutung. Mit der 
pepeha
 erinnern wir an unsere Vergangenheit, weil sie die Zukunft bestimmt. 
I nga wa o mua
, verstehst du?«
    Jack seufzte. »Den Wortlaut. Um das Prinzip zu verstehen, muss man wohl mit dem ersten Kanu nach Aotearoa gekommen sein. Und was war nun so schrecklich an den Schiffen, mit denen die Wardens und Martyns hier eingereist sind?«
    Wiremu wiederholte ihm Glorias Rede.
     

11
    Gloria ritt durch den Dunst und hoffte, dass der Nebel sich entweder heben oder der steile Weg in die Berge irgendwann einfach darüber hinausführen würde. Sie fragte sich, wie Rihari, der vor ihr ritt, dabei so traumhaft sicher den Weg finden konnte – und erst recht, wie selbstverständlich die Hunde Kuri und Nimue immer wieder begeistert kläffend Schafe entdeckten und zusammentrieben. Inzwischen hatten sie schon eine Herde von fast fünfzig Tieren, hauptsächlich alte und junge Widder, die sich oft widerwillig von Nimue im Pulk halten ließen. Sie alle waren Einzelgänger oder in kleinen Gruppen unterwegs gewesen. Außenseiter und Quertreiber, dachte Gloria und musste lachen. Rihari ritt schweigend vor ihr her. Es war beruhigend, dass er den Weg zu kennen schien.
    Als sie die Nebelbank dann hinter sich ließen, erhob sich ein überwältigendes Panorama vor Gloria. Es war, als schwebten die verschneiten Bergspitzen über den Wolken. Der Gipfel des Aoraki grüßte herüber, und die Pferde schienen über kaum sichtbare Feenbrücken zwischen den Tälern und Abgründen zu schreiten. Mitunter wirkten die Berge wie Dünen, sanft geschwungen, um dann plötzlich rau abzureißen, als habe man mit einem schartigen Messer daran herumgeschnitten.
    »Glaubst du, dass wir hier noch Schafe finden?«, fragte Gloria. Sie konnte sich an der Schönheit der Bergwelt kaum

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