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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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nicht.
    Jack erwachte, als Gloria neben ihm in den Schlafsack schlüpfte. Diesmal zitterte sie. Nach dem anstrengenden Tag und der letzten Geburtshilfe war sie halb erfroren. Jack hätte sie am liebsten an sich gezogen, achtete aber peinlichst genau darauf, sie nicht zu berühren.
    »Hat sich niemand gefunden, der dein Zelt aufbaut?«, fragte er.
    Gloria nickte. »Doch. Wiremu teilt es mit zwei verwaisten Lämmern. Er wird sicher mal ein guter Arzt. Aber ich glaube nicht, dass er sich auf Geburtshilfe spezialisiert. Als das Muttertier starb, war er ganz grün im Gesicht.«
    »Also wieder ein Schaf verloren?«, fragte Jack.
    Gloria seufzte. »Wir werden noch einige verlieren. Aber längst nicht alle. Dies ist eine zähe Rasse.«
    Jack lächelte. »Nicht nur die Vierbeiner«, sagte er sanft.
    Gloria rollte sich zusammen, wieder mit dem Rücken zu ihm.
    »Du hast die Bilder gesehen?«, fragte sie leise.
    Jack nickte, erinnerte sich dann aber daran, dass sie ihn nicht sehen konnte. »Ja. Aber ich wusste es schon.«
    »Du ... woher? Wie konntest du es wissen?« Gloria wandte sich um. Im Schein der Laterne sah Jack, dass sie erst rot wurde, dann totenblass. »Sieht man es mir an?«
    Jack schüttelte den Kopf. Er konnte nicht anders, hob die Hand und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
    »Elaine«, sagte er dann. »Elaine hat es gewusst. Besser gesagt, sie hat es erahnt. Die Einzelheiten konnte sie natürlich nicht wissen. Aber sie sagte, dass kein Mädchen auf der Welt es anders hätte schaffen können.«
    »Sie selbst hat sich nicht ...«, Gloria rang um Worte, »... verkauft ...«, flüsterte sie schließlich.
    Jack zog die Augenbrauen hoch. »Wenn ich es richtig verstanden habe, verdankte sie ihre Tugend lediglich dem Umstand, dass die örtliche Bordellbetreiberin eher eine Barpianistin suchte als ein weiteres Freudenmädchen. Wenn du die Wahl gehabt hättest, hättest du auch lieber Klavier gespielt.«
    »Das hätte keiner hören wollen«, flüsterte Gloria mit einem Anflug von Galgenhumor.
    Jack lachte, und dann wagte er es, die Hand auf ihre Schulter zu legen. Gloria protestierte nicht.
    »Grandma Gwyn?«, fragte sie atemlos.
    Jack streichelte sie beruhigend. Er konnte ihre knochige Schulter unter dem dicken Pullover fühlen. Noch jemand, der mehr essen musste. »Meine Mutter muss nicht alles wissen. Sie glaubt die Geschichten vom Schiffsjungen. Das ist besser für sie.«
    »Sie würde mich sonst hassen«, flüsterte Gloria.
    Jack schüttelte den Kopf. »Nein, würde sie nicht. Sie hat sich mehr als alles andere gewünscht, dass du zurückkommst. Wie du das gemacht hast ... vielleicht würde der Kummer sie umbringen, aber hassen würde sie eher die Kerle, die dir das angetan haben. Und Kura-maro-tini!«
    »Ich schäme mich so«, bekannte Gloria.
    »Ich schäme mich auch«, sagte Jack. »Aber ich habe viel mehr Grund dazu. Ich habe einen fremden Strand besetzt, habe ihn durch hässliche Schützengräben verschandelt, habe mich darin festgesetzt und die wirklichen Besitzer mit dem Spaten erschlagen. Das ist weitaus schlimmer.«
    »Du hattest Befehle.«
    »Du auch«, sagte Jack. »Deine Eltern wollten, dass du in Amerika bleibst. Gegen deinen Willen. Es war richtig, Nein zu sagen. Du kannst noch in den Spiegel schauen, Gloria. Ich nicht.«
    »Aber die Türken haben doch auf dich geschossen«, meinte Gloria. »Du hattest keine Wahl.«
    Jack zuckte die Achseln. »Ich hätte auf Kiward Station bleiben und Schafe zählen können.« »Ich hätte in San Francisco bleiben und die Kleider meiner Mutter bügeln können.« Jack lächelte. »Du musst jetzt schlafen, Gloria. Darf ich ... darf ich dich in den Arm nehmen?« In dieser Nacht lehnte Glorias Kopf an Jacks Schulter. Als sie aufwachte, küsste er sie.
     

12
    Timothy Lambert hasste Zugreisen. Selbst in der Ersten Klasse waren die Abteile so eng, dass er nicht einmal dann bequem saß, wenn er die Beinschienen abnahm. Außerdem führten die Gleise zwischen Greymouth und Christchurch zwar durch wunderschöne Landschaften, aber die damit verbundene Berg-und Talfahrt schüttelte die Passagiere mitunter ziemlich durch. Die meisten fanden das unterhaltsam, aber in Tims schlecht verheilter Hüfte verursachte es qualvolle Schmerzen. Dazu zwang ihn der Fahrplan stundenlang auf seinen Platz. Häufigere Pausen, die Auto- oder Kutschfahrten für ihn erträglich machten, gab es also nicht. Tim pflegte die Bahn zu meiden, wo immer es ging.
    In diesem Fall hatte George Greenwood aber

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