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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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»Ich glaube, hier ist es.«
    Gloria spähte durch das Schneetreiben. Es war fast, als tarnten die Geister den Zugang zu ihrem Tal, der im Sommer imponierend und kaum zu übersehen gewesen war. Rihari jedoch lenkte sein Pferd zielsicher auf zwei Felsen zu. Sie bildeten eine Art Torbogen – die Pforte zur Pourewa der Geister. Rihari hatte erkennbare Skrupel, sein Pferd hindurchzutreiben. Wäre er Christ gewesen, hätte er sich wahrscheinlich bekreuzigt.
    Gloria dagegen fackelte nicht lange. Auf ihren Pfiff hin lotsten die Hunde die Schafe durch die steinerne Pforte. Und dann bot sich ihr erneut ein Anblick, der sie schon damals mit Rongo vollständig bezaubert hatte. Die Felsen am Eingang wiesen den Weg in einen kleinen Talkessel, geformt von steil aufragenden Klippen, die unten jedoch wie ausgewaschen wirkten. Ein Dichter hätte die weitläufigen Räume, die hier durch eine Laune der Natur entstanden waren, mit einer Kathedrale oder einem Rittersaal verglichen. Aber Gloria sah vor allem ausreichend große, natürliche Unterstände für ihre Schafe. Menschen und Tiere wären hier auch vor dem ärgsten Sturm geschützt.
    Zwischen den Felsen erstreckte sich karges Grasland rund um einen kleinen See. Im Sommer schimmerte er in fast unwirklich intensivem Blau, aber an diesem Tag verhinderten das die dunklen Wolken, die über den Himmel jagten.
    Gloria kämpfte mit sich. Sie hatte den perfekten Unterschlupf – nicht nur für ihre paar Dutzend Tiere, sondern für alle, auch für Jack und seine Männer.
    Sollte sie hinunterreiten und die anderen holen? Das wäre das Sicherste, aber sie wusste nicht, ob es vor dem ärgsten Sturm zu schaffen war. Oder sollte sie Leuchtmunition abfeuern und darauf hoffen, dass Jack es sah und richtig deutete? Aber was war, wenn er die Schüsse als Hilferufe interpretierte? Dann schickte er womöglich nur einen Suchtrupp los, die Gruppe fiele auseinander, und letztlich wären alle dem Sturm noch schutzloser ausgesetzt. Die Männer mussten die Gewitterfront jetzt auch gesehen haben. Wenn Jack alle fünf Sinne beisammen hatte, ließ er das Lager abreißen.
    »Wissen die anderen von diesem Ort?«, fragte Gloria.
    Rihari versuchte, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln.
    »Wiremu vielleicht, die anderen sicher nicht. Ich kenne das Tal nur, weil ich einmal Rongo begleitet habe. Wir hatten einen anderen Stamm getroffen. Er kam aus den McKenzie Highlands, und ihre Zauberin wollte diesen Ort besuchen. Rongo hat sie hergeführt. Und du kennst ja Marama – sie hat immer Angst um Rongo, weil sie schon so alt ist. Also hat sie mich als Beschützer mitgeschickt. Mit den zwei alten Frauen war es ganz schön langweilig. Und ich musste draußen warten. Wenn du die Schafe hier hereintreibst, werden die Geister sehr erzürnt sein, Gloria.«
    Gloria verdrehte die Augen. Dann fasste sie einen Entschluss. »Noch wütender, als Tawhirimatea sich jetzt zeigt, kann ein harmloser Erdgeist kaum sein«, bemerkte sie. Tawhirimatea war der Gott des Wetters. »Hör zu, Rihari, du wartest hier. Ob draußen oder drinnen ist mir ganz egal, lass bloß meine Schafe nicht raus. Ich reite hinunter zum Lager. Kuri nehme ich mit; er wird mich auf dem Rückweg führen, falls ich mich verlaufe. Ich hole die anderen, bevor das Gewitter richtig losbricht.«
    »Das schaffst du nicht ...«, meinte Rihari. »Du weißt doch gar nicht, wo es ist.«
    Gloria schnaubte. »Ich bin immer gern Rennen geritten. Und das Lager finde ich schon. Ich reite einfach bergab, bis ich mich orientieren kann, so schwer wird das nicht sein. Also warte auf mich ... Ach ja, und schieß die Gewehre ab. Immer mal wieder, das hilft mir, zurückzufinden. Vielleicht kommen die anderen mir ja auch schon entgegen. Falls Wiremu etwas weiß, hat er hoffentlich genug Verstand, 
tapu tapu
 sein zu lassen und die Leute herzuführen.«
    Rihari kaute auf der Unterlippe. »Ich weiß nicht, ich ... soll ich nicht lieber reiten? Ich hab Mr. Jack versprochen, auf dich aufzupassen.«
    Gloria funkelte ihn an. »Ich kann auf mich selbst aufpassen. Und ich kann zehnmal besser reiten als du.«
    Wie um es zu beweisen, trieb Gloria ihre widerstrebende Stute an und ließ sie auf der Hinterhand wenden. Ceredwen hatte sich im Tal der Geister deutlich sicherer gefühlt als ungeschützt im Schneesturm, aber sie gehorchte den Hilfen. Nimue lief selbstverständlich mit. Kuri, Riharis Hund, musste allerdings widerstrebend hinterhergezerrt werden.
    Gloria ließ Ceredwen den Berg

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