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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Schließlich brach er auch noch die letzten 
tapu
 und schlachtete ein Schaf, einen alten Widder, der den Treck womöglich ohnehin nicht überlebt hätte. Sein Fleisch briet über dem Feuer, als die erschöpften Männer eintrafen. Jack fiel mehr vom Pferd, als dass er abstieg, und nahm dankbar einen Becher Tee entgegen.
    »Die anderen müssen noch warten, der Kessel ist winzig«, entschuldigte sich Rihari. Seine und Glorias Satteltaschen hatten nur eine Notausrüstung enthalten.
     
    Gloria hielt eisern in Sturm und Wind aus, bis auch das letzte Schaf die Felsenpforte durchschritten hatte. Erst dann ritt auch sie in den Talkessel und konnte kaum glauben, wie viel geschützter die Tiere hier untergebracht waren. Natürlich stürmte es auch zwischen den Klippen, und der Schnee wehte ihr nach wie vor ins Gesicht. Aber die Felsen minderten die Windgeschwindigkeit, und Gloria kam es beinahe behaglich vor.
    Noch wärmer und fast gänzlich windgeschützt war es dann in den Höhlen. Natürlich roch es streng, Gloria sah alten Schafdung – ein paar Tiere mussten diesen Ort also kennen und hatten sich nicht um das 
tapu
 gekümmert. Jetzt drängten die Schafe in die Unterstände, und die Menschen mussten den Hunden pfeifen, um wenigstens einen kleinen Bereich für sich freizuhalten. Gloria wagte eine kurze Bestandsaufnahme, während sie ihre steifgefrorenen Hände an einem Becher Tee wärmte. Auch für »die Chefin«, wie alle sie nun respektvoll nannten, war der erste Aufguss reserviert.
    »Schlimm?«, fragte Jack leise. Wiremu hatte sein Pferd abgesattelt, saß nun am Feuer und lehnte sich gegen den am Boden liegenden Sattel.
    Gloria schürzte die Lippen. »Wir haben nicht so viele Lämmer verloren, wie ich dachte. Wahrscheinlich, weil die Pferde nicht vorwärtswollten, sonst wären wir schneller geritten, und sie hätten es nicht geschafft mitzuhalten. Aber es wird natürlich trotzdem ein schwacher Jahrgang. Bis jetzt haben wir wohl auch höchsten zwei Drittel der Zuchttiere. Der Rest ist noch draußen. Wir werden sehen, wie viele den Sturm überleben. Wie geht es dir?«
    Jacks Lungen brannten bei jedem Atemzug, und er fror bis ins Mark, doch sein »gut« klang trotzdem ehrlich. In der letzten Stunde hatte er nicht mehr geglaubt, den Sturm zu überleben, und auch vorher waren seine Anweisungen eher Verzweiflung als Zuversicht entsprungen. Den Abstieg zur Hütte hatte er lediglich in der Hoffnung befohlen, dem ärgsten Wüten des Orkans zu entkommen. Der Sturm tobte sich zweifellos hier in den Bergen aus. Die Männer hätten zumindest eine kleine Chance gehabt, rechtzeitig weniger betroffene Gebiete zu erreichen. Aber Jack wäre ohnehin nicht mit ihnen geritten. Nicht ohne Gloria. Jetzt empfand er tiefe Dankbarkeit.
    Wiremu brachte ihm und Gloria Fleisch und frischen Tee, den er mit einem kräftigen Schuss Whiskey versetzt hatte. Die Männer am Feuer tranken ihn gleich aus der Flasche und ließen »die Chefin« hochleben. Auch auf Rihari hoben sie das Glas – und immer häufiger auf die Geister, je betrunkener sie wurden.
    »Sie sollen die Zelte aufbauen, bevor sie ganz hinüber sind«, meinte Gloria. Sie hatte sich zu Jack geflüchtet, der an einem kleineren Feuer etwas abseits lag. »Wir kriegen die Heringe doch hier in den Boden? Oder ist es Stein?«
    Wiremu ließ sich mit seinem Stück Fleisch neben den beiden nieder.
    »Du darfst hier nichts essen«, erinnerte Gloria ihn boshaft.
    Wiremu lächelte. »Ich esse, wo ich will. Ich werde den Stamm verlassen, Gloria. Ich gehe wieder nach Dunedin.«
    »Weiter studieren?«, fragte Gloria. »Trotz ...« Sie griff nach ihrem Gesicht, als zeige sie auf unsichtbare 
moko
, die auf die Haut gemalten Zeichen.
    Wiremu nickte. »Ich gehöre weder hierhin noch dorthin, aber dort gefällt es mir besser. Ich werde meine 
pepeha
 neu formulieren.« Er blickte sie fest an. »Ich bin Wiremu, und mein 
maunga
 ist die Universität von Dunedin. Meine Ahnen sind auf der 
Uruao
 nach Aotearoa gekommen, und ich durchquere das Land jetzt mit dem Autobus. In meine Haut ist die Geschichte meines Volkes geschnitten, aber meine Geschichte schreibe ich selbst.«
     
    Wiremu baute Jacks Zelt auf und half ihm hinein. Er hatte wieder Steine erhitzt, um ihn zu wärmen, und nach einem erneuten Kräuterumschlag ging sein Atem ruhiger. Wiremu begleitete Gloria bei einer letzten Inspektion der Tiere. Sie zog sich hin; drei Schafe lahmten, es gab wieder eine Geburt, das Muttertier überlebte sie

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