Der Ruf der Kiwis
Geheimnisse verriet, so eher in ihrem eigenen Idiom.
»Wie sieht es mit meiner Schwiegertochter Charlotte aus? Wird sie Nachkommen haben?«
James lächelte, fast ein bisschen verschwörerisch, aber Rongo Rongo blieb ernst.
»Mr. James, der Fluch der
wahine
Charlotte ist nicht ihre Kinderlosigkeit«, sagte sie leise. »Meine Großmutter hat mir in Fällen wie dem ihren geraten, eine Geisteraustreibung durchzuführen, und das habe ich auch getan ...«
»Mit Charlottes Zustimmung?«, fragte James verblüfft.
Rongo nickte. »Ja, obwohl sie es nicht ernst genommen hat. Sie wollte wohl einfach wissen, wie eine solche Besprechung vor sich geht ...«
»Dann hat es wohl nicht viel genützt?«, meinte James belustigt. Er hatte schon von vielen erfolgreichen Beschwörungsritualen gehört, aber sie waren nur dann hilfreich, wenn die Betroffenen an ihre Wirkung glaubten.
Rongo schüttelte ernst den Kopf. »Mr. James, es ist nicht wichtig, ob Miss Charlotte an die Geister glaubt. Es sind die Geister, welche die Macht der
tohunga
fürchten müssen ...«
»Und?«, fragte James. »Hatten wir es hier mit ausreichend ängstlichen Geistern zu tun?«
Rongo runzelte unglücklich die Stirn. »Ich bin nicht sehr mächtig«, gab sie dann zu. »Und es sind starke Geister. Ich habe Miss Charlotte geraten, einen
pakeha-tohunga
in Christchurch zu Rate zu ziehen. Dr. Barslow in Haldon hat nicht mehr Macht als ich ...«
James war beunruhigt. Rongo Rongo hatte vorher noch nie eine Patientin zu einem englischen Mediziner geschickt. Mit Dr. Barslow, dem Dorfarzt in Haldon, pflegte sie eine freundschaftliche Rivalität – mal gelang dem einen eine rasche Besserung kleiner Leiden, mal der anderen. Bei Charlotte hatten bislang beide versagt. Und die Diagnosen »Die Kinderlosigkeit ist nicht der Fluch« und »Sie müssen es einfach weiter versuchen, medizinisch gibt es keinen Grund, warum Sie nicht empfangen«, glichen sich auf beängstigende Weise.
»Ich habe die Tage gezählt!«, sagte Charlotte zu ihrem Mann.
Sie hatte eben ihr Haar gebürstet, und Jack beugte sich über sie und atmete in die honigblonde Fülle, immer wieder überrascht und beglückt davon, dass so viel Schönheit ihm gehörte.
»Wenn wir es heute versuchen, könnte ich ein Kind bekommen.«
Jack küsste ihr Haar und ihren Nacken. »Ich bin jedem Versuch gegenüber aufgeschlossen«, lächelte er. »Aber du weißt, ich bin nicht böse, wenn es kein Kind gibt. Ich brauche keinen Erben, ich will und brauche nur dich.«
Charlotte sah sein Gesicht in ihrem Schlafzimmerspiegel und genoss seine Zärtlichkeiten. Sie wusste, dass er es ernst meinte. Jack hatte nie einen Zweifel daran gelassen, wie glücklich sie ihn machte.
»Woher weißt du denn überhaupt, wie du die Tage zählen musst?«, erkundigte er sich.
»Von Elaine«, erklärte sie. »Und der hat es einmal ...«, sie kicherte ein bisschen und errötete, »... der hat es einmal ein Freudenmädchen erklärt. Dabei ging es natürlich eher darum, wie man eine Schwangerschaft verhindert. Aber das ist ja das gleiche Prinzip, nur umgekehrt.«
»Du sprichst mit Elaine über unsere Schwierigkeiten?«, fragte Jack verwundert. »Ich dachte, das hier ginge nur uns etwas an?«
Charlotte zuckte die Schultern. »Du kennst Lainie, sie ist ziemlich gerade heraus. Als sie zum letzten Mal hier war, hat sie mich direkt gefragt. Also haben wir darüber geredet. Ach Jack, ich wünsche mir so sehr ein Kind! Lainies Jungs sind so niedlich. Und die Briefe von ihrer kleinen Lilian ...«
»So klein ist die gar nicht mehr«, brummte Jack. »Gloria ist achtzehn, Lilian muss also vierzehn oder fünfzehn sein.«
»Sie ist jedenfalls bezaubernd. Ich kann es gar nicht abwarten, sie kennen zu lernen. In zwei Jahren wird sie die Schule abschließen, nicht wahr? Und Gloria schon in einem Jahr! Wie schnell die Kinder groß werden!«
Jack nickte grimmig. Auch nach so vielen Jahren hatte er nicht aufgehört, sich über Glorias Verhalten zu wundern. Ihre nichtssagenden, kurzen Briefe, ihr Schweigen auf die drei verzweifelten Anfragen, die er sich im Laufe der Jahre abgerungen hatte ... Irgendetwas stimmte nicht, aber er kam nicht zu ihr durch. Im nächsten Sommer sollte sie nun endlich diese Internatsausbildung beenden. Aber von Heimkehr war vorerst nicht die Rede.
»Nach dem Schulabschluss werde ich mit meinen Eltern durch Nordeuropa reisen.« Ein knapper Satz in Glorias letztem Brief. Kein Wort darüber, ob sie sich darauf freute
Weitere Kostenlose Bücher