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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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aussehende, charismatische Menschen ein solches Durchschnittskind wie Gloria hatten zustande bringen können.
    »Wir haben da einen Brief für Gloria erhalten, der uns gelinde gesagt ein wenig sorgenvoll stimmt ...« Miss Arrowstone nestelte einen Umschlag aus ihrer Schreibtischschublade.
    »Wie geht es Gloria überhaupt?«, fragte William mit seiner einnehmenden Stimme. »Ich hoffe, sie hat sich gut eingelebt und macht ihren Lehrerinnen Freude.«
    Miss Arrowstone zwang sich zu einem Lächeln. »Nun ja ... Ihre Tochter kämpft noch mit der Umstellung. Sie ist wohl ein wenig verwildert aufgewachsen da unten am anderen Ende der Welt ...«
    William nickte und winkte ab. »Pferde, Rinder und Schafe, Miss Arrowstone«, sagte er dramatisch. »Das ist alles, was die Leute da im Kopf haben. Die Canterbury Plains ... Christchurch, das sich neuerdings eine Großstadt nennt ... Kathedralenbauten ... Das klingt alles sehr vielversprechend, aber wenn Sie da einmal gelebt haben ... wie gesagt – Pferde, Rinder und Schafe! Wir hätten Gloria viel früher in eine anregendere Atmosphäre bringen lassen sollen. Aber wie es so ist, Miss Arrowstone. Großer Erfolg bedeutet eben auch große Anstrengungen.«
    Miss Arrowstone lächelte verständnisvoll. »Deshalb ist Ihre Gattin jetzt auch nicht bei Ihnen, um Gloria abzuholen«, bemerkte sie. »Dabei hatten wir uns alle auf ein Wiedersehen gefreut.«
    Und auf ein weiteres Gratiskonzert, dachte William, antwortete allerdings überaus freundlich: »Kura war nach der letzten Tournee ein wenig indisponiert. Und Sie werden verstehen, dass auch kleinste Erkältungen bei Sängern sehr ernst zu nehmen sind. Deshalb hielten wir es für besser, wenn sie in London bleibt. Wir haben eine Suite im Ritz ...«
    »Besitzen Sie denn kein Stadthaus, Mr. Martyn?«, wunderte sich Miss Arrowstone. Bei der Erwähnung des berühmten Hotels, das erst vor wenigen Jahren feierlich eröffnet worden war und unter der Schirmherrschaft des Prince of Wales stand, leuchteten ihre Augen auf.
    William schüttelte mit leichtem Bedauern den Kopf. »Auch kein Landhaus, Miss Arrowstone. Ich habe das Thema eines stilvollen Wohnsitzes zwar schon öfter angeregt, aber meine Frau mag nicht sesshaft werden. Ihr Maori-Erbe, nehme ich an.« Er lächelte gewinnend. »Aber was ist nun mit dem Brief, den Sie erwähnten, Miss Arrowstone? Belästigt jemand unsere Tochter? Vielleicht noch etwas, an das Gloria sich wird gewöhnen müssen. Erfolgreiche Künstler haben immer Neider ...«
    Miss Arrowstone nahm den Briefbogen aus dem Umschlag und entfaltete ihn. »Ich würde das nicht ›Belästigung‹ nennen. Und es ist mir auch ein wenig unangenehm, dass wir den Brief geöffnet haben. Aber Sie müssen verstehen ... als Vater einer Tochter werden Sie unzweifelhaft begrüßen, dass wir hier auf die Tugend der Zöglinge achten. Briefe mit einem männlichen Absender, der in einer uns nicht bekannten verwandtschaftlichen Beziehung mit dem Mädchen steht, öffnen wir sicherheitshalber. Wenn es sich als unverfänglich herausstellt, was natürlich fast immer der Fall ist, stellen wir den Brief anschließend zu, als wäre nichts gewesen. Andernfalls muss das Mädchen Rede und Antwort stehen. Ja, und diesmal ... aber lesen Sie selbst.«
     
    Meine allerliebste Gloria,
    ich weiß nicht recht, wie ich diesen Brief beginnen soll, aber ich bin zu beunruhigt, um weiter abzuwarten. Meine geliebte Gattin, Charlotte, hat mich deshalb ermutigt, Dir einfach zu schreiben und Dir meine Sorge um Dich vorzutragen.
    Wie geht es dir, Gloria? Vielleicht empfindest Du das ja als eine lästige Frage. Deinen Briefen entnehmen wir schließlich, dass Du immer sehr beschäftigt bist. Du berichtest vom Klavierspiel, vom Zeichnen und vielen gemeinsamen Unternehmungen mit Deinen neuen Freundinnen. Aber mir erscheinen Deine Briefe sonderbar knapp und hölzern. Kann es denn wirklich sein, dass Du uns alle auf Kiward Station vergessen hast? Willst Du nicht wissen, wie es Deinem Hund geht und Deinem Pferd? Vielleicht ist es dumm, aber ich lese niemals ein Lachen zwischen den Zeilen und höre nie ein persönliches Wort. Im Gegenteil, manchmal scheinen diese wenigen kurzen Sätze Traurigkeit auszustrahlen. Wenn ich an Dich denke, höre ich immer noch diese letzten Worte, die Du vor der Abreise zu mir sagtest: ›Wenn es ganz schlimm wird, Jack, holst du mich dann?‹ Damals habe ich Dich vertröstet, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber die richtige Antwort ist natürlich:

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