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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Also denkst du dir irgendwas aus. Je seltsamer, desto besser. Man kann da eigentlich gar nichts falsch machen ...«
    Lilian mochte keine Künstlerin sein, aber sie war einfallsreich und hatte Charme. Miss Beaver verzieh ihr selbst das lausige Klavierspiel, wenn Lilian dabei nett lächelte und wieder eine fantasievolle Ausrede dafür parat hatte, warum sie nicht zum Üben gekommen war. Gloria konnte in solchen Fällen nur verstummen – und mürrisches Schweigen verzieh niemand.
    Oaks Garden hatte eine Vereinbarung mit dem College in Cambridge, die gelegentliche Treffen zwischen den älteren Mädchen des Internats und den jüngeren Jahrgängen der College-Studenten vorsah. Natürlich fand dabei alles unter Aufsicht statt, aber wenn es trotzdem dazu kam, dass zwei sich verliebten, war die Verbindung praktisch immer eine passende. Auf jeden Fall mussten die Mädchen auf ihre kommende Rolle in der Gesellschaft vorbereitet werden, und dazu gehörte auch der mehr oder weniger unbefangene Umgang mit dem anderen Geschlecht. So war es nun also der Wagen der Schule, der fünfzehn aufgeregte Mädchen der letzten Jahrgänge nach Cambridge brachte, wo auf dem Cam die letzten Ausscheidungswettkämpfe für das legendäre Boat Race stattfanden. Das Boat Race selbst, das alljährliche Rennen der Achter von Oxford und Cambridge und Höhepunkt der Rudersaison, fand eine Woche später in London statt. Gloria dachte bei sich, dass die Mannschaften dafür sicher bereits bestimmt waren – es war unwahrscheinlich, dass die Trainer die Zusammenstellung von einem einzigen Ausscheidungsrennen so kurz vor dem Wettkampf abhängig machten. Aber im Grunde war es egal. An diesem sonnigen Samstagnachmittag würden alle Spaß haben. Jeder Anlass, das Internat zu verlassen, war ein guter Anlass.
    Der Gärtner, der in Oaks Garden auch als Kutscher fungierte, lenkte seine zwei schweren Warmblüter in flottem Trab über die Straße nach Cambridge. Gloria freute sich am frischen Grün auf den Weiden. Vereinzelt waren schon Pferde, Schafe und Rinder draußen, und noch immer verglich sie die Qualität der Tiere mit der Zucht auf Kiward Station. Es war erfrischend, mal wieder durch eine Landschaft zu fahren, die nicht von Mauern und Zäunen begrenzt wurde. Der Park von Oaks Garden war wunderschön, aber Glorias Augen suchten die Weite. Das Grün der Hügel um Cambridge beruhigte und erfreute sie, aber noch immer meinte sie, hinter dem Grasland die Alpen sehen zu müssen, und noch immer erschien ihr die Luft in England weniger klar, die Sicht beschränkter und das Sonnenlicht verhangener als in den Canterbury Plains.
    Die Köchinnen von Oaks Garden hatten ein Picknick vorbereitet, und die beiden Aufsicht führenden Lehrerinnen bewachten die Körbe, als enthielten sie mindestens einen Staatsschatz. Auch die Wahl des idealen Picknickplatzes am Ufer schien eine große Sache zu sein. Lilian und ihre Freundinnen diskutierten sie ausführlich mit lauten, manchmal schrillen Stimmen – und Gloria wünschte sich wieder mal weit weg von all dem. Viel lieber, als hier dem Bootsrennen zuzusehen, wäre sie allein am Cam entlanggeschlendert, hätte Vögel beobachtet und Frösche und Kröten aufgescheucht, bis sie mit ulkigen Kopfsprüngen ins Wasser flüchteten. Nach wie vor war sie an Naturkunde interessiert, und immer noch zeichnete sie die Tiere, die ihr in Englands Fluren begegneten. Allerdings legte sie die Bilder längst nicht mehr ihren Lehrerinnen vor, sondern schickte sie höchstens Miss Bleachum nach Dunedin. Die junge Lehrerin hatte dort eine Stellung an einer Mädchenschule angenommen und schrieb Gloria regelmäßig. Mit ihr machte sie auch manchmal vorsichtige Pläne für die Zeit nach der Schule. Dunedin hatte eine Universität, die begrenzt Mädchen aufnahm. Vielleicht konnte sie dort endlich ihren Neigungen nachgehen und ein naturwissenschaftliches Fach studieren. Natürlich würde Gloria einiges nachholen müssen, aber Miss Bleachum war überzeugt, dies würde ihr leicht gelingen. Von einer Rückkehr nach Kiward Station träumte Gloria schon lange nicht mehr. Es tat zu weh, sich an diese verlorene Welt zu erinnern, und sie würde sich dort auch kaum noch sicher fühlen. Ihre Eltern hatten sie einmal herausgezerrt. Es gab keine Garantie, dass sie es nicht wieder täten.
    Lilian und die anderen hatten sich endlich für eine Stelle am Ufer entschieden, näher am Ziel als am Start der Bootsrennen. Damit hatte sich die Fraktion der Mädchen durchgesetzt, die

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