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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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oder ob sie lieber direkt nach Hause gekommen wäre. Kein Wort darüber, ob sie die Schule vermissen würde, ob sie an ein Studium dachte ... Glorias Briefe beschränkten sich auf kürzeste Berichte. Wenn sie die Ferien nicht im Internat, sondern mit ihren Eltern verbrachte, was in den fünf Jahren dreimal vorgekommen war, schrieb sie gar nicht.
    »Du wirst dich freuen, wenn sie zurückkommt, nicht wahr?«, meinte Charlotte. Sie beendete ihre Haarpflege, stand auf und ließ ihren seidenen Morgenrock über ihre Schultern gleiten. Darunter trug sie ein zart besticktes Nachthemd. Jack registrierte, dass sie dünner geworden war.
    »Wenn du Kinder haben willst, solltest du zuerst mehr essen«, wechselte er das Thema und legte sanft die Arme um seine Frau.
    Sie lachte leise, als er sie hochhob und aufs Bett legte. »Du bist zu zart, um auch noch ein Baby zu tragen.«
    Charlotte erschauerte leicht unter seinen Küssen, kam dann aber auf Gloria zurück. Sie mochte nicht über ihre Figur reden; die Maori-Frauen zogen sie schon oft genug damit auf, dass ihr Mann sie bald nicht mehr mögen würde. Maori-Männer liebten füllige Frauen.
    »Aber du wirst enttäuscht«, warnte sie Jack. »Die Gloria, die jetzt zurückkommt, hat mit dem kleinen Mädchen von damals wahrscheinlich nichts mehr zu tun. Sie interessiert sich nicht mehr für Hunde und Pferde. Sie wird Bücher lieben und Musik. Du solltest dich schon mal in schöngeistiger Konversation üben.«
    Jacks Verstand sagte ihm das Gleiche, wenn er Glorias Briefe las. Aber sein Herz konnte es nicht glauben.
    »Das soll sie Nimue selbst sagen!«, bemerkte er mit einem Blick auf Glorias Hündin, die, ebenso wie sein eigener Hütehund, auf dem Flur vor ihrem Schlafzimmer schlief. »Und sie ist die Erbin von Kiward Station. Sie wird sich für die Farm interessieren müssen, Internat hin oder her.«
    Charlotte schüttelte den Kopf. »Wird der Hund sie denn überhaupt noch erkennen?«
    Jack nickte. »Der Hund erinnert sich. Und Gloria ... sie kann kein anderer Mensch geworden sein. Das geht einfach nicht.«
     
    Gloria band ihr Haar im Nacken zusammen. Nach wie vor stand es wild vom Kopf ab; die Locken waren einfach zu dick, um sich formen zu lassen. Immerhin war es inzwischen lang, es reichte bis tief über ihren Rücken, zumindest wegen ihrer jungenhaften Frisur neckten die anderen Mädchen sie nicht mehr. Ansonsten war es ihr aber auch längst egal, was Gabrielle, Fiona und die anderen über sie sagten. Gloria hatte zwar kein dickes Fell entwickelt, aber eine Art Pufferschicht um sich herum aufgebaut. Sie ließ einfach nicht mehr zu, dass die Sticheleien sie verletzten, versuchte, die Bedeutung der Worte für sich auszuschalten, wenn Gabrielle oder einer ihrer anderen Quälgeister mit ihr sprach. Das galt auch für die Bemerkungen der meisten Lehrer, besonders für die neue Musiklehrerin Miss Beaver. Miss Wedgewood hatte drei Jahre zuvor Reverend Bleachum geheiratet und die Schule verlassen. Und mit Miss Beaver kam eine glühende Verehrerin von Kura-maro-tini Martyn. Sie brannte darauf, Gloria kennen zu lernen und hoffte auf musikalische Wundertaten – als Gloria die nicht erbrachte, wollte sie zumindest Einzelheiten von allen Konzertreisen hören, an denen das Mädchen in den letzten Jahren teilgenommen hatte.
    Dabei konnte Gloria nicht viel berichten, was das anging: Sie hasste die Ferien mit ihren Eltern. Allein die Blicke der Mitglieder des Ensembles, wenn sie das Mädchen zum ersten Mal sahen, verletzten sie bis ins Mark. Es waren auch immer wieder neue Tänzer und Sänger, die ihre Eltern um sich scharten. Die meisten Maoris waren heimatverbunden und blieben nicht länger als eine Saison bei der Truppe. Außerdem kam es oft zu Auseinandersetzungen der Künstler, wenn die Martyns echte 
tohunga
 anheuerten, also Musiker, die auch in ihrer Heimat den allerbesten Ruf hatten.
    Kuras Interpretationen der 
haka
 wichen inzwischen immer mehr von der traditionellen Aufführung ab; sie passte sich westlichen Standards an und verlangte das auch von den Maori-Künstlern. Gerade die besten waren dazu allerdings nicht bereit, stritten sich dann lautstark und warfen manchmal von einer Minute zur anderen das Handtuch. Kura und William waren deshalb dazu übergegangen, keine echten Maoris mehr zu beschäftigen, sondern 
pakeha
-Mischlinge. Die entsprachen auch eher westlichen Schönheitsvorstellungen, und das wurde immer mehr zum Hauptkriterium für ihre Auswahl. Es gab inzwischen

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