Der Ruf der Kiwis
zu zeugen, und so sollte der Vormann einspringen. Die junge Frau hatte sich monatelang eingeredet, ihr »Zuchtversuch« habe nichts mit Liebe zu tun.
Gwyneira runzelte die Stirn. »Wenn es um Jack geht, schon«, schränkte sie ein. »Und sie liebt die Arbeit mit den Maoris. Aber sonst ... Findest du nicht, dass sie zu dünn ist, James? Natürlich ist sie bildhübsch, aber doch fast etwas mager, oder irre ich mich da? Und diese dauernden Kopfschmerzen ...«
Charlotte neigte, eigenen Angaben nach, zu Migräneanfällen, seit sie denken konnte. Schon in den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie immer mal eine Woche bei abgedunkelten Fenstern in ihren Räumen verbracht und war dann blass und verhärmt wieder aufgetaucht. Weder die Pülverchen des Arztes in Haldon noch die Kräuter der Maori-Hebamme Rongo Rongo vermochten wirklich zu helfen. Allerdings war dies relativ selten geschehen, während Gwyneira in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon vier Anfälle zählte.
»Wahrscheinlich macht sie sich Gedanken. Sie hat sich doch immer Kinder gewünscht«, meinte James. »Was sagt denn Rongo? Hast du sie nicht wieder mal hingeschickt?«
Gwyneira zuckte die Schultern. »Ich kann dir nur sagen, was Dr. Barslow sagt«, bemerkte sie. »Das hat mir Charlotte verraten. Wahrscheinlich, weil es sie so glücklich machte zu hören, dass seiner Ansicht nach alles in Ordnung ist. Rongo kann ich schlecht nach Charlottes Gesundheitszustand fragen. Aber sie stecken ja wegen dieser alten Geschichten dauernd zusammen. Das nimmt mir auch ein bisschen die Sorge. Würde ihr ernsthaft etwas fehlen, würde Rongo es merken.«
James nickte. »Wenn ich es mir recht überlege«, meinte er dann, »wäre es auch für mich mal wieder Zeit, Rongo Rongo aufzusuchen. Das Rheuma bringt mich um. Aber ich kann nicht nach O’Keefe Station reiten. Denkst du, Rongo würde sich zu einem Hausbesuch herablassen?« Er lächelte.
»Wobei du sie ganz vorsichtig und unauffällig über Charlottes intimste Geheimnisse aushorchen könntest?«, neckte Gwyn. »Tu’s nur, ich bin genauso neugierig! Aber pass auf, sie wird nichts verraten! Und ich werde darauf bestehen, dass du anschließend jeden bitteren Aufguss zu dir nimmst, den sie dir verordnet!«
Rongo Rongo kam natürlich ins Haus und traf James im Bett an. Die letzten Regenfälle hatten sein Rheuma derart verschlimmert, dass er sich nicht aufraffen konnte, sich auch nur bis zu seinem Lehnstuhl am Erkerfenster zu schleppen.
»Das ist die Zeit, Mr. James, sie lässt die Knochen verrotten«, seufzte Rongo, eine inzwischen fast weißhaarige kleine, aber nach wie vor äußerst agile Frau. In der Tradition der Frauen ihrer Familie praktizierte und lehrte sie die Heilkunst. Leider hatte sie nur drei Söhne und keine Tochter, die sie zur Hebamme ausbilden konnte. Rongo brachte eine Nichte mit, aber das Mädchen wirkte nicht sonderlich aufgeweckt. Eher unlustig suchte es auf Rongos Anweisung nach Kräutern und Amuletten. »Man kann den Schmerz etwas lindern, aber heilen kann man das Rheuma nicht mehr. Halten Sie sich vor allem warm, wehren Sie sich nicht gegen die Schwäche. Es hilft nichts, wenn Sie aufstehen und die Knochen zu zwingen versuchen. Davon wird es nur schlimmer. Hier ...« Sie nahm ein paar Kräuter von ihrer kleinen Helferin entgegen. »Das setzt man Ihnen heute Abend in der Küche auf. Morgen seiht Kiri es durch, und Sie trinken alles in einem Schluck. Auch wenn es bitter ist. Fragen Sie Kiri, die nimmt das Gleiche, und sie ist viel beweglicher als Sie!«
Kiri war seit Jahrzehnten als Köchin auf Kiward Station tätig und weigerte sich standhaft, ihre Stellung einer Jüngeren zu überlassen.
»Gegen mich ist Kiri ein Kind!«, behauptete James. »In ihrem Alter kannte ich das Wort ›Gliederschmerzen‹ noch gar nicht!«
Rongo lächelte. »Den einen berühren die Götter eher, den anderen später«, sagte sie ruhig, aber mit traurigem Unterton. »Seien Sie glücklich, dass Ihnen ein langes Leben beschert wurde ... und viele Nachkommen.«
»Da wir gerade dabei sind ...« James drehte sich mühsam in eine bequemere Stellung und nahm die Ermittlungen auf. Er konnte das wirklich besser als Gwyneira, nicht nur, weil er diplomatischer veranlagt war. Im Gegensatz zu seiner Frau sprach er auch fließend Maori. Rongo Rongo war zwar des Englischen mächtig – sie hatte einst zu Helen O’Keefes ersten Schülerinnen gehört –, aber der Austausch in ihrer Muttersprache fiel ihr doch leichter. Wenn sie
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