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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Hobson oder Mount Eden ... die Aussicht soll fantastisch sein«, bemerkte Jack lustlos. Die terrassenbedeckten Berge leuchteten in sattem Grün über der Stadt. Das Meer, aufgelockert durch Dutzende vulkanische Inseln, wirkte einladend azurblau, und die Grafton Bridge, die erst vor wenigen Jahren vollendete, längste Bogenbrücke der Welt, zog sich in faszinierendem Schwung über den Grafton Gully.
    »Später«, sagte Charlotte. Sie hatte sich auf ihrem Hotelbett ausgestreckt und wollte nichts mehr sehen und hören. Nur Jacks Arme um sich spüren und sich vorstellen, dass dies alles nichts als ein böser Traum war. Am kommenden Morgen würden sie in ihrem Schlafzimmer auf Kiward Station aufwachen und sich nicht einmal mehr an den Namen Dr. Friedmans erinnern. Und Auckland ... irgendwann würden sie die Nordinsel besuchen, wenn es ihr besser ging ... wenn sie Kinder hatten ... Charlotte schlief ein.
     
    Jack machte sich gleich am nächsten Morgen auf die Suche nach Dr. Friedmans Praxis. Der Hirnspezialist residierte in der feudalen Queen Street, einer Straße, die als Flaniermeile angelegt wurde, bevor Auckland die Würde der Hauptstadt Neuseelands an Wellington abgeben musste. Die Stadt hatte damals Neusiedler aus den Metropolen der Alten Welt angelockt, und auf der Queen Street fand sich ein stattliches viktorianisches Wohnhaus neben dem anderen.
    Jack fuhr die Straße mit der Trambahn entlang, eine Fortbewegungsart, die ihm in Christchurch stets ein kindliches Vergnügen bereitet hatte. An diesem sonnigen Sommertag in Auckland war er aber nur von Furcht und bösen Vorahnungen erfüllt. Immerhin wirkte das herrschaftliche Steinhaus des Professors vertrauenerweckend. Er musste zumindest gut verdienen, wenn er sich ein derart prachtvolles Wohn-und Praxisgebäude mitten in Auckland leisten konnte. Andererseits erfüllte Jack auch dies mit Furcht. Würde der berühmte Chirurg ihn überhaupt empfangen?
    Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. Wie sich herausstellte, hatte Dr. Barrington seinem bekannten Kollegen bereits geschrieben, und Professor Friedman erwies sich als wenig dünkelhaft. Ein Sekretär kündigte Jack an und bat ihn, kurze Zeit zu warten, bis der Arzt seine augenblickliche Konsultation beendet hatte. Danach rief er ihn in sein Büro, das eher einem Herrenzimmer glich als einer Arztpraxis.
    Professor Friedman selbst war ein kleiner, eher zierlicher Mann mit buschigem Bart. Er war nicht mehr jung, Jack schätzte ihn auf über sechzig Jahre, aber seine hellblauen Augen wirkten wach und neugierig wie die eines Zwanzigjährigen. Der Chirurg hörte aufmerksam zu, als Jack ihm Charlottes Symptome schilderte.
    »Es ist also schlimmer geworden, seit Sie Dr. Barrington konsultiert haben?«, fragte er ruhig.
    Jack nickte. »Meine Frau führt es auf die Reise zurück. Sie wurde immer schnell seekrank, dazu die halsbrecherische Zugroute. Sie leidet vor allem unter verstärktem Schwindel und Übelkeit.«
    Professor Friedman lächelte väterlich. »Vielleicht ist sie schwanger«, meinte er.
    Jack schaffte es nicht, das Lächeln zu erwidern. »Wenn Gott uns diese Gnade erweisen würde ...«, flüsterte er.
    Professor Friedman seufzte. »Gott teilt die Gnade zurzeit nicht gerade mit vollen Händen aus«, murmelte er. »Allein dieser sinnlose Krieg, in den Europa zurzeit hineintaumelt ... wie viele Leben da zerstört werden, wie viel Geld verschwendet, das die Forschung dringend bräuchte. Die Medizin macht in der letzten Zeit rasante Fortschritte, junger Mann. Aber in den nächsten Jahren wird alles stillstehen, und die einzigen Fertigkeiten, in denen die Ärzte sich vervollkommnen, sind die Amputationen von Gliedmaßen und die Versorgung von Schusswunden. Nun, dafür werden Sie in Ihrer Situation wenig Sinn haben. Lassen Sie uns also keine weitere Zeit mit Reden vergeuden. Sie bringen mir Ihre Frau her, sobald sie sich nur eben kräftig genug fühlt. Hausbesuche mache ich ungern, ich habe alle meine Diagnoseinstrumente hier. Und ich hoffe aus ganzem Herzen mit Ihnen, dass sich alles als harmlos herausstellt.«
     
    Charlotte brauchte noch einen Tag, um sich für die Konsultation zu wappnen, am nächsten Morgen saß sie neben Jack im Wartezimmer Professor Friedmans. Jack hatte den Arm um sie gelegt, und sie schmiegte sich an ihn wie ein ängstliches Kind. Sie wirkt kleiner in diesen Tagen, fuhr es ihm durch den Kopf. Ihr Gesicht war immer schmal gewesen, aber jetzt schien es nur noch aus riesigen braunen Augen

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