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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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wirklich nichts anderes im Kopf hast als irgendwelche Gehässigkeiten, dann tut es mir für dich sehr leid. Und allmählich beginne ich zu verstehen, warum Mum damals fortgegangen ist.« Er hob gebieterisch die Hand, als sein Vater den Mund öffnete, um ihn wütend zurechtzuweisen. Erstaunlicherweise hielt Alastair Longmuir wirklich inne. »Ich habe dir gesagt, was ich tun werde, habe dich allerdings weder um deine Erlaubnis gebeten noch um irgendwelche dummen Kommentare. Die Sache ist definitiv zu ernst, um darüber dämliche Witze zu reißen. Ich mache mir große Sorgen um Patricia, deshalb reite ich morgen früh los und hoffe von ganzem Herzen, dass es noch nicht zu spät ist.«
    Und nun konnte sein Vater losbrüllen, wenn er mochte – Ethan war es vollkommen egal.
    Zu seiner Verwunderung schwieg Alastair Longmuir jedoch. Seine Miene ließ sich nicht deuten, doch es war ganz klar weder Zorn noch Spott, was Ethan darin las.
    Konnte es tatsächlich eine Spur von Respekt sein?
    »Noch eins«, fuhr Ethan fort, als ob er nichts bemerkt hätte. »Ich brauche für die Tour ein zweites Pferd. Ich möchte Sonny nicht auch noch das ganze Gepäck einschließlich Zelt aufladen, es wird für ihn ohnehin anstrengend genug. Ein Packpferd wäre eine echte Erleichterung und ich möchte mir daher gerne Boomer für ein paar Tage ausborgen.« Dass zudem Patricia vermutlich ein Reittier für den Rückweg benötigte, brauchte seinen Vater nicht zu interessieren. Er verstand die Geschichte mit Dallis garantiert sowieso nicht.
    Alastair Longmuir schwieg weiterhin, doch sein Gesicht ließ merkwürdigerweise immer noch keinen Widerspruch erkennen, sodass Ethan auch noch den letzten, schwierigsten Punkt in Angriff nahm.
    »Außerdem werde ich Laird mitnehmen. Ich brauche ihn, um die Fährte zu verfolgen.«
    Jetzt würde sein Vater mit Sicherheit lostoben, dachte Ethan und wartete auf den unweigerlichen Angriff. Die Sache mit dem Hund war schließlich in der letzten Zeit einer ihrer Hauptstreitpunkte gewesen.
    Doch obwohl der Blick des alten Longmuir für einen Moment flackerte, blieb der Zornesausbruch aus. Ethan glaubte, seinen Augen und Ohren nicht zu trauen, als sein Vater nach einem langen Moment nickte.
    »In Ordnung«, sagte er und räusperte sich. »Brauchst du sonst noch was?«
    Ethan verschlug es die Sprache. War das noch sein Vater? Derselbe Mann, der ihn siebzehn Jahre lang von oben herab behandelt, verspottet und noch nicht ein einziges Mal für voll genommen hatte?
    Vielleicht hätte ich so etwas schon vor Jahren machen sollen, dachte Ethan bei sich. Nein, nicht vielleicht. Ich hätte es tun sollen, dann wäre vieles in meinem Leben ganz anders gelaufen . . .
    Er ließ sich jedoch seine Verblüffung nicht anmerken und tat so, als sei die Frage seines Vaters eine Selbstverständlichkeit.
    »Ja«, sagte er mit einer Stimme, die so sicher klang wie noch nie in seinem Leben. »Oben in den Bergen ist ja leider kein Handyempfang, es könnte allerdings sein, dass ich für Patricia schlimmstenfalls Hilfe anfordern muss. Würdest du mir eines deiner CB-Funkgeräte leihen?«
    »Im Geländewagen liegt ein Handgerät«, sagte sein Vater. »Du weißt noch die Frequenz?«
    Ethan nickte. »Die weiß ich, seitdem du es mir erklärt hast, als ich zwölf war.« Und er lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.

30.
    Patricia zerrte zum hundertsten Mal den feuchten Kragen ihrer Jacke hoch, doch dieser war seit dem letzten Versuch vor zwei Minuten erwartungsgemäß weder gewachsen, noch schirmte er inzwischen besser gegen die Kälte ab. Sie wusste kaum noch, wie man sich fühlte, ohne dabei mit den Zähnen zu klappern. Am gestrigen dritten Tag ihrer Flucht hatte es mehrere Stunden lang geregnet und seitdem besaß Patricia nichts mehr, was nicht vollkommen durchnässt war. Die Kälte der Nacht tat dann das Übrige, sodass Patricia gegen Mitternacht ernsthaft überlegte, ob es nicht sinnvoller wäre, einfach weiterzureiten, statt stundenlang schlaflos unter ihrer nassen Decke zu bibbern. Sie entschied sich dann aber trotzdem, bis zum Morgen zu warten, immerhin musste wenigstens Dallis sich ausruhen dürfen. Mit Erleichterung beobachtete Patricia, dass zumindest die Stute nicht zu frieren schien. Ihr Entschluss war also doch richtig gewesen. Dallis machten die Witterungsverhältnisse hier oben in den Bergen nichts aus, das konnte Patricia sehen.
    Sie selbst hingegen . . .
    Patricia hustete heftig und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht. Durch den

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