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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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vergeben. Niemand konnte oder wollte daran rühren, aber dennoch war sonnenklar, dass es Hatcher eine Menge gekostet haben musste, um die nötigen Lizenzen für Alkoholausschank und Glücksspiel auf der Insel zu erhalten.
    Merritt lächelte. »Kein Kommentar.«
    Diese Reaktion war typisch. E. Fane Hatcher stand in dem Ruf, der Immobilien-Pate von Boston zu sein, aber nichts hätte Dan Merritt dazu gebracht, die Hand zu beißen, die ihn fütterte. Nicht einmal in einer Bemerkung Peter gegenüber. Wer Archäologie betreiben wollte, durfte sich keinesfalls mit den örtlichen Größen anlegen, und schon gar nicht mit einem Investor, dessen Spielerparadies im Billionen-Dollar-Format zur finanziellen Goldgrube für Boston und Massachusetts zu werden versprach. Im Gegenteil. Man war sogar versucht, ihm den Hintern zu küssen, damit wichtige und kostbare Artefakte nicht einfach von den Bulldozern überrollt wurden. Oft genug schon hatten Investoren aus Furcht vor einem Baustopp antike Fundamente zerstört. Erst vor sechs Jahren war auf dem Gelände des Back Bay Office Building das intakte Grab eines Kriegers aus dem siebzehnten Jahrhundert unter die Räder gekommen. Solche Vorkommnisse erklärten Merritts Zurückhaltung, die er auch Peter immer wieder empfahl.
    Peter mochte Dan Merritt, aber trotzdem fühlte er sich in seiner Gegenwart stets ein wenig gehemmt. Merritt war unbestritten der perfekt- und bestgekleidete Archäologe des Staates. Ich bin mit mir selbst im Reinen! Sein Schädel war rund wie der einer Eule, der Scheitel schien mit dem Laser gezogen, trotz der leichten Brise regte sich kein Härchen, und die perfekt gewölbten Brauen verstärkten noch den eulenartigen, leicht verachtungsvollen Blick. Dazu rasiermesserscharfe Bügelfalten, ein nagelneues blaues Arbeitshemd und spiegelblanke gelbe Arbeitsstiefel. Merritt liebte das korrekte, das akkurate Leben ohne Spekulationen oder Sehnsüchte und handelte stets überlegt und angemessen.
    Im Gegensatz dazu herrschte in Peters Leben ein etwas rauerer Wind. Schon sein Äußeres signalisierte den Rebellen. Der schwarze Lockenkopf schrie förmlich nach der Schere, einem Vorderzahn fehlte ein kleines Eck, und auf der Oberlippe prangte eine Narbe, die er sich als Junge in einer Prügelei erworben hatte. Er maß einen Meter und achtzig, und er trainierte täglich im Sam-Adams-Sportzentrum, um die athletische Figur zu erhalten, die er früher beim Ringen im College erworben hatte. Wie gewöhnlich trug er Turnschuhe, Jeans und Pullover. Heute ganz in Schwarz. Wie ein Krimineller, hatte Linda einmal gesagt.
    Merritt nickte mit dem Kopf in Richtung auf den Hügel. »Man erwartet uns.«
    Es war fünf Uhr, und außer einigen kreischenden Möwen über ihren Köpfen war alles still. Am Anleger auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht kletterten die letzten Bauarbeiter an Bord eines geräumigen Arbeitsbootes.
    Mit Andy auf den Schultern stieg Peter in einer von Bulldozern und Schwerlastern ausgefahrenen Rinne hinter Merritt zur Hochfläche von Pulpit’s Point empor. Der Umfang der Erdbewegungen überraschte ihn völlig und erinnerte ihn an einen Film über den Zweiten Weltkrieg, in dem ein Schwarm Bulldozer und Laster eine Pazifikinsel praktisch über Nacht in einen Flugplatz umgestaltet hatte. So weit Peter sehen konnte, waren Bauarbeiten im Gang. Und draußen auf dem Wasser schwammen zwei gewaltige Pontons – einer für den Bagger und der andere für den Sand und den schlammigen Aushub des zukünftigen Hafenbeckens. Auf der Landseite davor war der Strand unter einer sechs Meter hohen Aufschüttung aus Felsen und Erdreich verschwunden, das man irgendwo im Inneren der Insel abgebaggert hatte. Direkt dahinter dösten Bulldozer, Planierraupen und Lastwagen in der Sonne.
    Peter schmerzte der Anblick der verwundeten Insel. Falls es eine Hexenbraut gab, so spuckte sie völlig zu Recht Feuer! »Eines verstehe ich nicht«, sagte er. »Einerseits reißen sie sich die Beine aus, um vor dem Winter möglichst weit zu kommen, und andererseits bieten sie uns die Grabungsrechte an. Weshalb schieben sie die paar Steine nicht einfach ins Meer?«
    »Hatcher ist offenbar der Meinung, dass sie auf die Fundamente einer Kirche gestoßen sind, die seine Vorfahren im späten siebzehnten Jahrhundert errichtet haben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hofft er auf genügend Material für eine Rekonstruktion. Er will eine komplette Stadt im Stil der Kolonialzeit entstehen lassen – mit Rathaus,

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