Der Ruf Der Trommel
sagte Phaedre. Sie nickte einmal langsam. »Genau richtig«, sagte sie noch einmal. »Sie hat weiße Haut, weiß wie abgeschöpfte Milch; paßt wirklich gut zu dem hellen Grün.«
»Hm. Aber der Unterrock ist elfenbeinfarben - sieht sie da bei ihrer blassen Haut nicht blutleer aus?«
Es paßte mir überhaupt nicht, erörtert zu werden, als wäre ich ein Kunstobjekt - und noch dazu möglicherweise ein unvollkommenes -, doch ich schluckte meine Einwände hinunter.
Phaedre schüttelte entschieden den Kopf.
»O nein, Ma’am«, sagte sie, »gar nicht. Ihre Knochen werfen Schatten. Und sie hat gelbbraune Augen, aber jetzt nicht an Lehm
denken. Ihr habt doch dieses Buch, in dem lauter komische Tiere abgebildet sind.«
»Meinst du Berichte von einer Erkundung des indischen Subkontinents ?« fragte Jocasta. »Ich erinnere mich. Ulysses hat es mir letzten Monat noch vorgelesen. Du meinst, Mrs. Fraser erinnert dich an eine der Illustrationen?« Sie lachte amüsiert.
»Mm-hm.« Phaedre hatte mich nicht aus den Augen gelassen. »Sie sieht aus wie die große Katze«, sagte sie leise und starrte mich an. »Dieser Tiger, der aus dem Busch guckt.«
Jocasta wirkte einen Augenblick erschrocken.
»So, so«, sagte sie und lachte. Doch sie faßte mich nicht mehr an.
Ich stand unten in der Halle und strich die grüngestreifte Seide über meinem Busen glatt. Phaedre hatte ihren Ruf als Schneiderin völlig zu Recht; das Kleid paßte wie angegossen, und die breiten Einfassungen aus smaragdfarbenem Satin hoben sich leuchtend von den blasseren Elfenbein- und Blattgrüntönen ab.
Da sie auf ihr dichtes Haar stolz war, trug Jocasta keine Perücken, und so gab es auch keine Versuche, mir eine solche zu verpassen. Phaedre hatte mir das Haar statt dessen mit Reismehl pudern wollen, doch ich hatte ihr entschlossen Widerstand geleistet. Sie hatte sich damit begnügt, meine Lockenpracht mit einem weißen Seidenband zu bändigen und am Hinterkopf aufzustecken und dabei ihre Meinung über meinen Mangel an modischem Instinkt mühsam unterdrückt.
Ich war mir nicht ganz sicher, warum ich den restlichen Flitterkram abgelehnt hatte, mit dem sie mich weiter verunstalten wollte - vielleicht war es schlichte Abneigung gegen Übertreibungen jeder Art. Oder vielleicht war es auch ein tiefer liegendes Unbehagen zum Objekt degradiert zu werden, für Jocastas Zwecke herausgeputzt und zur Schau gestellt zu werden. Wie auch immer, ich hatte es abgelehnt. Ich trug keinen Schmuck außer meinem Ehering, einem Paar kleiner Perlenohrringe und einem grünen Samtband um den Hals.
Ulysses kam die Treppe herunter, makellos in seiner Livree. Ich bewegte mich, und er wandte den Kopf, als er das Rascheln meiner Röcke wahrnahm.
Seine Augen weiteten sich zu einem Blick offener Anerkennung, als er mich sah, und ich blickte zu Boden und lächelte zurückhaltend, wie üblich, wenn man bewundert wird. Dann hörte ich ihn nach Luft schnappen und fuhr auf. Seine Augen waren immer noch geweitet, doch diesmal vor Furcht; seine Hand war so fest um das Geländer geschlossen, daß die Knöchel hervortraten.
»Verzeihung, Madame«, sagte er mit erstickter Stimme und hastete mit gesenktem Kopf die Treppe herunter an mir vorbei. Die Tür des Durchgangs zum Küchenhaus schwang hinter ihm zu.
»Was zum Kuckuck…?« sagte ich laut, und dann fiel mir ein, wo - und in welcher Zeit - wir uns befanden.
Er hatte so viel Zeit nur mit einer blinden Herrin und ohne Herrn in diesem Haus verbracht, daß er unvorsichtig geworden war. Für den Augenblick hatte er den grundlegendsten Schutz vergessen, den einzigen wirklichen Schutz, den ein Sklave hatte: das unbeteiligte, reglose Gesicht, hinter dem alle Gedanken verborgen blieben.
Kein Wunder, daß er einen Mordsschrecken bekommen hatte, als ihm klar wurde, was er getan hatte. Wenn eine andere Frau diesen unvorsichtigen Blick aufgefangen hätte… meine Hände wurden kalt und feucht, und ich schluckte, denn plötzlich hatte ich den Geruch von Blut und Terpentin in der Nase.
Doch es war nur ich gewesen, besann ich mich, und niemand sonst hatte es gesehen. Auch wenn der Butler Angst hatte, er war in Sicherheit. Ich würde mich verhalten, als wäre nichts geschehen - es war ja auch nichts geschehen - und die Situation… nun, die war eben, wie sie war. Das Geräusch von Schritten auf der Empore über mir unterbrach meinen Gedankengang. Ich blickte nach oben, holte tief Luft, und alle anderen Gedanken verblaßten augenblicklich.
Ein
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