Der Ruf Der Trommel
von Furcht bis hin zu erschrockenem Ekel reichten, und nur hier und dort blitzte Wut auf - oder Genugtuung.
Von MacNeills stämmigen Schultern auf das Podest gehoben, tauchte Farquard Campbell aus dem Gedränge auf und ging unverzüglich auf die bewaffneten Männer los. Er fuchtelte mit den Armen und rief etwas, das ich nicht hören konnte, obwohl das Schreien und Stöhnen um mich herum jetzt erschrockener Stille wich. Jamie ergriff den Rand des Podestes, zog sich hinter Campbell hoch und reichte MacNeill die Hand. Campbell stand Byrnes direkt gegenüber, und sein schmales Gesicht war wutverzerrt.
»… unsagbare Brutalität!« brüllte er. Seine Worte erreichten mich nur bruchstückhaft, da sie im Gedränge um mich herum halb untergingen, doch ich sah, wie er empört auf den Kran und seine grauenhafte Bürde zeigte. Der Sklave hatte aufgehört, sich zu winden, und hing nun reglos da.
Das Gesicht des Aufsehers war nicht zu sehen, doch sein Körper war steif vor Empörung und Trotz. Ein paar seiner Freunde bewegten sich auf ihn zu in der klaren Absicht, ihm Schützenhilfe zu leisten.
Ich sah, wie Jamie einen Augenblick stehenblieb, um die Lage einzuschätzen. Er zog beide Pistolen aus dem Rock und kontrollierte kühl, ob sie schußfertig waren. Dann trat er vor und hielt die eine an Byrnes bandagierten Kopf. Der Aufseher erstarrte überrascht.
»Hol ihn herunter«, sagte Jamie zu dem nächstbesten Rowdy. Er sprach so laut, daß er im ersterbenden Raunen der Menge gut zu hören war. »Oder ich puste das weg, was vom Gesicht deines Freundes noch übrig ist. Und dann -« Er hob die zweite Pistole und zielte mitten auf die Brust des Mannes. Jamies Gesichtsausdruck machte weitere Drohungen überflüssig.
Der Mann bewegte sich widerstrebend, wobei er die Pistole mit zusammengekniffenen Augen im Blick behielt. Er ergriff den Bremshebel des Krans, und zog ihn zurück. Der Haken sank langsam herab, das Seil vom Gewicht der Last gestrafft. Unter den Zuschauern erklang allgemeines Seufzen, als der schlaffe Körper die Erde berührte.
Es war mir gelungen, mein Pferd so weit durch die Menge zu treiben, daß ich nur noch etwa einen halben Meter vom Rand des Podestes entfernt war. Das Pferd scheute und stampfte, es warf seinen Kopf herum und schnaubte wegen des starken Blutgeruchs, war aber so gut dressiert, daß es nicht durchging. Ich saß ab und befahl einem Mann neben mir, meine Kiste abzuladen.
Die Bretter des Podestes fühlten sich seltsam unter meinen Füßen an, sie schwankten wie der Boden, wenn man von einem Schiff kommt. Nur wenige Schritte trennten mich von dem Sklaven; als ich ihn erreichte, war jene kalte Klarheit über mich gekommen, die die größte Stärke eines Chirurgen ist. Ich beachtete weder die erhitzten Auseinandersetzungen hinter mir noch die restlichen Zuschauer.
Er lebte noch; seine Brust bewegte sich in kurzen, ruckartigen Stößen. Der Haken hatte den Bauch durchbohrt, war durch den unteren Brustkorb gedrungen und ungefähr in Nierenhöhe hinten ausgetreten. Die Haut des Mannes war von einem unirdischen, dunklen Blaugrau, und seine Lippen waren bleich wie Lehm.
»Psst«, sagte ich leise, obwohl der Sklave bis auf sein röchelndes Atmen kein Geräusch machte. In seinen Augen stand Unverständnis, seine Pupillen waren erweitert und von Dunkelheit überschwemmt.
Es lief ihm kein Blut aus dem Mund, also waren die Lungen nicht verletzt. Sein Atem ging flach, aber rhythmisch; das Zwerchfell war nicht durchstochen. Meine Hände bewegten sich sanft über ihn hinweg,
während mein inneres Auge versuchte, den Pfad der Zerstörung zu verfolgen. Aus beiden Wunden sickerte Blut, es floß schwarz über die Bauch- und Rückenmuskeln und leuchtete rubinrot auf dem polierten Stahl. Es spritzte nicht hervor; irgendwie hatten seine Henker sowohl die Bauch- als auch die Nierenschlagader verfehlt.
Hinter mir war ein hitziger Streit ausgebrochen, und ich registrierte ganz am Rande, daß Byrnes’ Kameraden, die Aufseher zweier Nachbarplantagen, gegenwärtig von Farquard Campbell kräftig zurechtgewiesen wurden.
»… offene Mißachtung des Gesetzes. Dafür werdet Ihr Euch vor Gericht verantworten, meine Herren, dessen könnt Ihr Euch sicher sein!«
»Was macht das schon?« brummte einer von ihnen schmollend. »Hier geht’s doch um Blutvergießen - und Verstümmelung. Byrnes hat seine Rechte!«
»Rechte, über die Leute wie Ihr nichts zu sagen haben«, fiel MacNeill tief grollend ein. »Abschaum seid Ihr,
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