Der Ruf Der Trommel
ungebührliche Kraftanstrengung zu entziehen.
»Fünfundzwanzig, Ma’am«, antwortete er ziemlich überrascht. Er drückte einen Finger seiner freien Hand auf das sternförmige Schönheitspflaster neben seinem Mund. »Sehe ich denn abgehärmt aus?«
»Nein. Ich wollte nur sichergehen, daß ich die Wahrheit sage, wenn ich Euch davon in Kenntnis setze, daß ich alt genug bin, um Eure Mutter zu sein!«
Diese Nachricht schien ihn nicht im mindesten zu verstören. Vielmehr hob er meine Hand an die Lippen und preßte diese inbrünstig darauf.
»Ich bin entzückt«, hauchte er. »Darf ich Euch Maman rufen?«
Ulysses stand hinter Jocasta, die dunklen Augen konzentriert auf die Gäste gerichtet, die über den erleuchteten Pfad vom Fluß heraufkamen. Ab und zu beugte er sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich zog meine Hand mit aller Kraft aus Wylies Griff und benutzte sie, um dem Butler auf die Schulter zu tippen.
»Ulysses«, sagte ich und lächelte Wylie charmant an, »würdest du bitte dafür sorgen, daß Mr. Wylie beim Essen neben mir sitzt?«
»Gewiß, Madame, ich werde mich darum kümmern«, versicherte er mir und setzte unverzüglich seine Inspektion fort.
Mr. Wylie verbeugte sich überschwenglich und versicherte mich seiner unendlichen Dankbarkeit, um sich dann von einem der Lakaien ins Haus führen zu lassen. Ich winkte ihm vergnügt nach und dachte mir, wie sehr ich es im Fall des Falles genießen würde, mit meiner Gabel auf ihn einzustechen.
Ich konnte nicht sagen, ob es nur ein glücklicher Zufall oder wohlüberlegte Planung war, doch ich fand mich zwischen Mr. Wylie und
Mr. Husband, dem Quäker, wieder, und Mr. Hunter - noch jemand, der kein Gälisch sprach - saß mir gegenüber. Wir bildeten eine kleine englische Insel inmitten einer wogenden schottischen See.
Jamie war im letzten Moment aufgetaucht und saß jetzt am Kopfende des Tisches, Jocasta zu seiner Rechten. Zum x-ten Mal fragte ich mich, was eigentlich vorging. Ich beobachtete ihn genau und hielt eine saubere Gabel neben meinem Teller einsatzbereit, doch wir waren ohne besondere Zwischenfälle beim dritten Gang angelangt.
»Ich bin überrascht, einen Herrn Eurer Glaubensrichtung bei einer solchen Gelegenheit anzutreffen, Mr. Husband. Erregt solche Frivolität keinen Anstoß bei Euch?« Da es ihm während der ersten beiden Gänge nicht gelungen war, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, versuchte Wylie es jetzt damit, daß er sich über mich beugte, wobei sein Oberschenkel beiläufig den meinen berührte.
Hermon Husband lächelte. »Auch Quäker müssen essen, Freund Wylie. Und ich habe Mrs. Camerons Gastfreundschaft schon oft genossen, es fiele mir nicht ein, sie jetzt zurückzuweisen, nur weil sie andere mit einschließt.« Er wandte sich wieder mir zu und nahm den unterbrochenen Gesprächsfaden auf.
»Ihr habt nach den Regulatoren gefragt, Mrs. Fraser?« Er deutete über den Tisch. »Ich würde Eure Frage gern an Mr. Hunter weiterleiten, denn wenn überhaupt davon die Rede sein kann, daß die Regulatoren jemandes Führung genießen, dann halten sie sich an diesen Herrn.«
Mr. Hunter akzeptierte das Kompliment mit einer Verbeugung. Er war ein hochgewachsenes, hohlwangiges Individuum und einfacher gekleidet als die meisten anderen Gäste, obwohl er kein Quäker war. Er und Mr. Husband befanden sich auf der Heimreise von Wilmington ins Hinterland. Ich hatte Gouverneur Tryons Angebot im Hinterkopf und wollte so viel wie möglich über diese Gegend herausfinden.
»Wir sind nur ein loser Zusammenschluß«, sagte er bescheiden und stellte sein Weinglas ab, »und tatsächlich würde es mir widerstreben, irgendeinen Titel zu beanspruchen - ich habe einfach nur das Glück, eine Heimstätte zu besitzen, die sich gut als Versammlungsort eignet.«
»Man sagt, die Regulatoren sind nur Gesindel.« Wylie tupfte sich die Lippen ab, wobei er achtgab, sein Pflästerchen nicht abzulösen. »Sie sollen gesetzlos sein und dazu neigen, den offiziellen Vertretern der Krone Gewalt anzutun.«
»Das ist nicht wahr, so sind wir nicht«, warf Mr. Husband ein,
ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich war überrascht, daß er sich als Regulator zu erkennen gab - vielleicht war die Bewegung ja nicht ganz so gesetzlos und gewalttätig, wie man Wylies Worten entnehmen konnte. »Wir streben nur nach Gerechtigkeit, und diese kann nicht durch Gewalt erlangt werden, denn sobald Gewalt ins Spiel kommt, flieht die Gerechtigkeit.«
Wylie lachte, und
Weitere Kostenlose Bücher