Der Ruf Der Trommel
aufzubewahren. »Ich glaube, dann ist es wohl am besten, wenn wir ihn ordentlich einhüllen und ihn zum Dorf tragen, damit sich seine eigenen Leute richtig um ihn kümmern können.«
»Nein, das kannst du nicht.« Ich zog das Blech mit den frischgebackenen Muffins aus dem Steinofen, pflückte einen Ginsterzweig ab und stach in eins der runden, braunen Küchlein. Er kam sauber wieder heraus, also stellte ich das Blech auf den Tisch und setzte mich dann ebenfalls. Ich blickte mit einem abwesenden Stirnrunzeln
auf das Honigglas, das golden in der späten Morgensonne leuchtete.
»Das Problem ist, daß die Leiche mit allergrößter Sicherheit immer noch ansteckend ist. Du hast ihn doch nicht angefaßt, oder, Ian?« Ich sah Ian an, der den Kopf schüttelte und ein ernüchtertes Gesicht machte.
»Nein, Tante Claire. Jedenfalls nicht mehr, nachdem er hier krank geworden ist; vorher weiß ich es nicht. Wir waren schließlich alle zusammen auf der Jagd.«
»Und du hast die Masern noch nicht gehabt. Verflixt«. Ich fuhr mir mit der Hand durch das Haar. »Du?« fragte ich Jamie. Zu meiner Erleichterung nickte er.
»Aye, mit fünf oder so. Und du hast gesagt, man bekommt dieselbe Krankheit nicht zweimal. Also passiert mir nichts, wenn ich ihn anfasse?«
»Nein, und mir auch nicht. Ich habe sie auch gehabt. Aber wir können ihn nicht ins Dorf bringen. Ich habe keine Ahnung, wie lange das Masernvirus - das ist eine Art Keim - auf Kleidungsstükken oder einer Leiche überleben kann. Aber wie sollen wir seinen Leuten erklären, daß sie ihn nicht anrühren oder in seine Nähe kommen dürfen? Und wir können es nicht riskieren, daß sie sich anstecken.«
»Was mir Sorgen macht«, meldete sich Ian unerwartet zu Wort, »ist, daß der Mann nicht aus Anna Ooka ist - er ist aus einem Dorf weiter im Norden. Wenn wir ihn hier ganz normal beerdigen, könnten seine Leute es erfahren und glauben, daß wir ihn irgendwie haben zu Tode kommen lassen und ihn dann begraben haben, um es zu verheimlichen.«
Das war ein unangenehmer Gedanke, der mir gar nicht in den Sinn gekommen war, und ich fühlte mich, als hätte sich mir eine kalte Hand in den Nacken gelegt.
»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«
Ian zuckte mit den Achseln, brach einen heißen Muffin entzwei und träufelte Honig auf die dampfenden Innenseiten.
»Nacognawetos Leute trauen uns, aber Myers hat gesagt, es gibt genug andere, die das nicht tun. Sie haben allen Grund, mißtrauisch zu sein, aye?«
Wenn ich in Betracht zog, daß der Großteil der Tuscarora kaum fünfzig Jahre zuvor in einem blutigen Krieg mit den Siedlern North Carolinas ausgelöscht worden war, konnte ich ihnen das nicht verdenken. Es half uns bei unserem Problem jedoch nicht weiter.
Jamie schluckte den Rest seines Muffins hinunter und lehnte sich seufzend zurück.
»Also gut. Ich denke, wir wickeln den armen Kerl am besten in ein Leichentuch und legen ihn in die kleine Höhle auf dem Hügel hinter dem Haus. Ich habe schon die Pfosten für einen Stall vor der Öffnung aufgerichtet; sie werden die Raubtiere von ihm fernhalten. Dann sollten Ian oder ich nach Anna Ooka gehen und Nacognaweto die Sache erklären. Vielleicht schickt er jemanden mit uns zurück, der sich die Leiche ansehen und den Verwandten des Mannes versichern kann, daß wir ihm keine Gewalt angetan haben - und dann können wir ihn begraben.«
Bevor ich auf diesen Vorschlag antworten konnte, hörte ich jemanden über den Hof rennen. Ich hatte die Tür angelehnt gelassen, damit Licht und Luft hereinkamen. Als ich mich umdrehte, erschien Willies Gesicht in der Öffnung, bleich und aufgeregt.
»Mrs. Fraser. Könnt Ihr bitte kommen? Papa ist krank.«
»Hat er es von dem Indianer?« Jamie sah Lord John stirnrunzelnd an, den wir bis auf sein Hemd ausgezogen und ins Bett gelegt hatten. Sein Gesicht lief abwechselnd rot an und wurde bleich - die Symptome, die ich anfangs aufgewühlten Emotionen zugeschrieben hatte.
»Nein, das kann nicht sein. Die Inkubationszeit beträgt ein bis zwei Wochen. Wo seid ihr gewesen -« Ich wandte mich an Willie, zuckte dann die Achseln und vergaß die Frage. Sie waren unterwegs gewesen; es war unvorstellbar, daß noch jemand sagen konnte, wo oder wann Grey das Virus aufgefangen hatte. In den Gasthäusern schliefen die Reisenden normalerweise zu mehreren in einem Bett, und die Decken wurden selten gewechselt; es war gut möglich, sich dort schlafen zu legen und am Morgen mit den Erregern aller möglichen
Weitere Kostenlose Bücher