Der Ruf Der Trommel
Seuchen von Masern bis hin zur Gelbsucht aufzuwachen.
»Ihr habt gesagt, es gab eine Masernepidemie in Cross Creek?« Ich legte Lord John eine Hand auf die Stirn. Da ich Fieber nach Gefühl bestimmen konnte, schätzte ich das seine auf etwa 39,5 Grad; hoch genug.
»Ja«, sagte er heiser und hustete. »Habe ich die Masern? Ihr müßt Willie von mir fernhalten.«
»Ian - kannst du bitte mit Willie nach draußen gehen?« Ich wrang ein Tuch aus, das ich mit Holunderwasser befeuchtet hatte, und wischte Grey Gesicht und Hals ab. Er hatte noch keinen Ausschlag im Gesicht, doch als ich ihn bat, den Mund zu öffnen, sah ich ganz
deutlich die kleinen, weißlichen Koplik-Flecke auf der Schleimhaut.
»Ja, Ihr habt die Masern«, sagte ich. »Seit wann fühlt Ihr Euch schon krank?«
»Mir war gestern abend beim Schlafengehen ein bißchen schwindelig«, sagte er und hustete erneut. »Beim Aufwachen hatte ich ziemliche Kopfschmerzen, aber ich dachte, es wäre nur die Nachwirkung von Jamies sogenanntem Whisky.« Er lächelte Jamie schwach an. »Aber heute morgen…« Er nieste, und ich suchte hastig nach einem sauberen Taschentuch.
»Ja, sicher. Also, versucht, Euch ein wenig auszuruhen. Ich habe etwas Weidenrinde aufgesetzt; der Tee ist gut gegen die Kopfschmerzen.« Ich stand auf und sah Jamie mit hochgezogener Augenbraue an. Er folgte mir nach draußen.
»Wir dürfen Willie nicht in seine Nähe lassen«, sagte ich so leise, daß es niemand anders hören konnte: Willie und Ian waren beim Pferch und gabelten Heu in die Krippe der Pferde. »Und Ian auch nicht. Es ist sehr ansteckend.«
Jamie runzelte die Stirn.
»Aye. Aber was du über die Inkubation gesagt hast -«
»Ja. Ian könnte sich bei dem Toten angesteckt haben, Willie bei demselben Herd wie Lord John. Jeder der beiden könnte es haben, obwohl noch nichts zu sehen ist.« Ich drehte mich um und sah die beiden Jungen an, die äußerlich genauso gesund waren wie die Pferde, die sie gerade fütterten.
»Ich denke«, sagte ich zögernd, während ich einen vagen Plan faßte, »daß du vielleicht heute nacht besser mit den Jungen im Freien campierst - ihr könntet in der Kräuterkammer schlafen oder unter den Bäumen übernachten. Wartet einen oder zwei Tage; wenn Willie sich angesteckt hat - und er es von demselben Herd hat wie Lord John -,kann man es bis dahin wahrscheinlich sehen. Wenn nicht, dann ist er wahrscheinlich davor sicher. Wenn er sicher ist , dann könntest du mit ihm nach Anna Ooka gehen, um Nacognaweto von dem Toten zu erzählen. So würde Willie außer Reichweite der Gefahr bleiben.«
»Und Ian könnte hierbleiben, um sich um dich zu kümmern?« Er runzelte abwägend die Stirn und nickte dann. »Aye, das könnte wohl gehen.«
Er drehte sich um, um einen Blick auf Willie zu werfen. Er konnte zwar völlig teilnahmslos aussehen, wenn er es wollte, doch ich kannte ihn gut genug, um das Aufflackern der Emotion in seinem Gesicht zu sehen.
Es lag Sorge in seinen schräggestellten Augenbrauen - Besorgnis um John Grey und vielleicht auch um mich oder Ian. Doch darunter lag etwas völlig anderes - Interesse, versetzt mit Wachsamkeit, so glaubte ich, ausgelöst von der Vorstellung, mehrere Tage allein mit dem Jungen zu verbringen.
»Wenn er es bis jetzt noch nicht gemerkt hat, dann wird er es auch nicht mehr merken«, sagte ich leise und legte meine Hand auf seinen Arm.
»Nein«, murmelte er und drehte dem Jungen den Rücken zu. »Es dürfte wohl ungefährlich sein.«
»Man sagt, alles hat seine guten Seiten«, sagte ich. »Du kannst dann mit ihm reden, ohne daß es ihm ungewöhnlich vorkommt.« Ich hielt inne. »Ich habe nur noch eine Bitte, bevor du gehst.«
Er legte seine Hand auf die meine, die auf seinem Arm lag, und lächelte zu mir herab.
»Aye, und was ist das?«
»Hol das Schwein aus der Vorratskammer, bitte.«
27
Aus der Mitte entspringt ein Fluß
Die Reise begann nicht besonders vielversprechend. Erstens regnete es. Zweitens ließ er Claire nicht gern allein, schon gar nicht unter so schwierigen Umständen. Drittens machte er sich große Sorgen um John; das Aussehen des Mannes hatte ihm überhaupt nicht gefallen, als er sich von ihm verabschiedete; er war kaum halb bei Bewußtsein und keuchte wie ein Nilpferd, und seine Gesichtszüge waren durch den Ausschlag bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Und viertens hatte ihm der neunte Graf von Ellesmere gerade einen Kinnhaken versetzt. Er packte den Jungen fest am Kragen und schüttelte ihn so
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