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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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empfindliches Netz, gesponnen, um Erde und Raum zu umgarnen. Uns ist nur ein Leben gegeben - und doch können wir seine Jahre in vielen Zeiten verbringen - wie vielen Zeiten?
    Wer Macht ausüben will, der muß seine Zeit und seinen Ort sorgfältig auswählen, denn nur, wenn uns der Schatten des Steins zu Füßen liegt, steht das Tor des Schicksals wirklich offen.

     
    »Bekloppt, das steht fest«, murmelte Roger. »Und was für ein furchtbarer Stil.« Die Küche war leer; er redete sich selbst Mut zu. Es funktionierte nicht.
    Er blätterte vorsichtig um und überflog die Zeilen, die in einer klaren, rundlichen Handschrift verfaßt waren.
    Auf die Einleitung folgte ein Kapitel mit der Überschrift »Sonnenfeste und Feuerfeste« und dann eine Liste - Imbolc, Alban Eilir, Beltane, Litha, Lughnassadh, Alban Elfed, Samhain, Alban Arthuan. Jedem Namen folgten einige Notizen, und daneben stand eine Reihe von Kreuzen. Was zum Teufel sollte das?
    Sein Blick fiel auf Samhain und die sechs Kreuze daneben.
     
    Dies ist das erste der Totenfeste. Schon lange vor Christus und seiner Auferstehung entstiegen in der Samhain-Nacht die Seelen der Helden ihren Gräbern. Sie sind selten, solche Helden. Wer kommt schon zur Welt, wenn die Sterne richtig stehen? Und nicht jeder, der so geboren wird, hat den Mut, nach der Macht zu greifen, die ihm zusteht.
     
    Obwohl sie ganz offensichtlich völlig verrückt war, hatte sie Methode und besaß Organisationstalent - eine merkwürdige Vermischung von kühler Beobachtungsgabe und poetischer Raserei. Der Mittelteil des Buches war »Fallstudien« überschrieben, und wenn sich Roger beim ersten Kapitel die Nackenhaare gesträubt hatten, dann war das zweite geeignet, ihm das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
    Es war eine sorgfältig nach Daten und Orten sortierte Auflistung von Leichen, die man in der Umgebung von Steinkreisen gefunden hatte. Ihr Aussehen wurde beschrieben, und darunter waren jeweils ein paar Vermutungen notiert.
     
    14. August 1931. Sur-le-Meine, Bretagne. Männliche Leiche, nicht identifiziert. Alter Mitte Vierzig. Gefunden nahe der Nordseite eines Steinkreises. Todesursache nicht ersichtlich, aber Verbrennungen an Armen und Beinen. Kleidung nur als »Lumpen« beschrieben. Kein Foto.
    Möglicher Grund für Fehlschlag: (1) männlich, (2) falsches Datum - 23 Tage nach dem letzten Sonnenfest.
     
    2. April 1650. Castlerigg, Schottland. Frauenleiche, nicht identifiziert. Alter ungefähr fünfzehn. Beträchtliche Verstümmelungen, vielleicht von Wölfen vom Steinkreis weggezerrt. Kleidung nicht beschrieben.

    Möglicher Grund für Fehlschlag: (1) falsches Datum - 28 Tage vor Sonnenfest, (2) mangelnde Vorbereitung.
     
    5. Februar 1953. Callanish, Insel Lewis. Männliche Leiche, identifiziert als John McLeod, Hummerfischer, Alter 26. Diagnostizierte Todesursache massive Hirnblutungen, pathologische Untersuchung aufgrund des Erscheinungsbildes der Leiche - Verbrennungen zweiten Grades an Gesicht und Gliedmaßen und angesengtes Aussehen der Kleidung. Pathologe vermutet Tod durch Blitzschlag - möglich, aber nicht wahrscheinlich.
    Möglicher Grund für Fehlschlag: (1) männlich, (2) sehr nah an Imbolc, aber vielleicht nicht nah genug? (3) unzulängliche Vorbereitung - Zeitungsfoto zeigt das Opfer mit offenem Hemd; verbrannte Stelle auf der Brust scheint die Form eines St.-Bridhe-Kreuzes zu haben, aber zu undeutlich, um es mit Sicherheit zu sagen.
     
    1. Mai 1963. Tomnahurich, Schottland. Frauenleiche, identifiziert als Mary Walker Willis. Pathologische Untersuchung, Körper und Kleidung beträchtlich angesengt, Tod durch Herzversagen - Aortariß. Bericht merkt an, Miß Walkers Kleidung sei »merkwürdig«, keine Details.
    Fehlschlag - diese hier hat gewußt, was sie tat, hat es aber nicht geschafft. Fehlschlag wahrscheinlich durch Mangel des richtigen Opfers.
     
    Die Liste ging weiter, und Roger wurde mit jedem Namen eisiger zumute. Insgesamt hatte sie zweiundzwanzig gefunden, gemeldet in einem Zeitraum von der Mitte des siebzehnten bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts an Fundorten in ganz Schottland, Nordengland und der Bretagne, die sämtlich Spuren prähistorischer Bauten aufwiesen. Manche waren offensichtlich Unfälle gewesen, dachte er - Menschen, die völlig arglos in einen Steinkreis getreten waren und nicht die geringste Ahnung hatten, wie ihnen geschah.
    Ein paar - nur zwei oder drei - schienen Bescheid gewußt zu haben; sie hatten sich dementsprechend gekleidet.

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