Der Ruf Der Trommel
Kapitäns angezogen fühlten.
»Das Kind ist krank«, bemerkte Dixon. Er zeigte mit dem Finger auf den Jungen, der einen roten Ausschlag hinter den Ohren hatte und auf dessen blassen Wangen das Fieber erblühte.
»Nur Milchfieber«, sagte die Frau und zog das Kind defensiv an ihre Brust. »Kommt wohl ein neuer Zahn.«
Der Kapitän nickte unbeteiligt und wandte sich ab. Roger begleitete die Frau zur Kombüse, wo er um ein Stück Schiffszwieback bat, auf dem das Kind herumkauen konnte, dann schickte er sie zurück zu den anderen aufs Vorderdeck.
Gilberts Zahnfleisch interessierte ihn jedoch nicht besonders; als er die Leiter zum Deck hochkletterte, beschäftigte ihn die Unterhaltung, die er zufällig gehört hatte.
Zwischenlandungen in New Bern und Edenton, dann erst Wilmington. Und Bonnet hatte sichtlich keine Eile; er würde nach guten Preisen für seine Fracht Ausschau halten und in aller Ruhe über die Arbeitsverträge seiner Passagiere verhandeln - Himmel, es konnte Wochen dauern, bevor sie Wilmington erreichten.
Das ging nicht, dachte Roger. Der Himmel wußte, wohin es Brianna verschlug - oder was ihr zustoßen konnte. Die Gloriana war trotz des Unwetters gut vorangekommen - so Gott wollte, würden sie nur acht Wochen bis North Carolina brauchen, wenn der Wind anhielt. Er wollte die wertvolle Zeit, die er so gewann, nicht in den nördlichen Häfen Carolinas vertun, um dann im Schneckentempo nach Süden zu dümpeln.
Er beschloß, im ersten Hafen, den sie erreichten, von Bord der Gloriana zu gehen und sich, so gut er konnte, nach Süden durchschlagen. Es stimmte, er hatte sein Wort gegeben, auf dem Schiff zu bleiben, bis die Fracht gelöscht war, doch andererseits würde er auch seinen Lohn nicht bekommen, daher erschien ihm der Tausch einigermaßen fair.
Die frische, kalte Luft an Deck weckte ihn ein wenig auf. Doch sein Kopf fühlte sich immer noch an, als wäre er mit feuchter Baumwolle gefüllt, und seine Kehle war vom Salz aufgerauht. Seine Wache dauerte noch drei Stunden; er machte sich auf, um sich noch eine Kelle Wasser zu holen, denn er hoffte, daß es ihm helfen würde, auf den Beinen zu bleiben.
Dixon hatte den Kapitän stehengelassen und wanderte zwischen den Grüppchen der Passagiere hindurch, nickte den Männern zu und blieb stehen, um ein paar Worte mit einer Frau mit Kindern zu wechseln. Merkwürdig, dachte Roger. Der Maat suchte kaum die Gesellschaft der Besatzung, ganz zu schweigen von den Passagieren, die er nur als eine ungewöhnlich sperrige Sorte Fracht betrachtete.
Es regte sich etwas in seinen Gedanken, etwas Unangenehmes, doch er konnte es nicht an die Oberfläche des Begreifens holen. Es hing im Schatten seiner Erschöpfung, gerade eben außer Sichtweite, fast so nah, daß er es riechen konnte. Ja, das war es, es hatte etwas mit einem Geruch zu tun. Aber was -
»MacKenzie!« Einer der Seeleute rief ihn vom Afterdeck und winkte ihn herbei, damit er beim Flicken der vom Sturm zerrissenen Segel half; riesige Stapel gefalteter Leinwand lagen wie schmutzige Schneewehen auf den Planken, und die oberen Lagen blähten sich im Wind.
Roger stöhnte und reckte seine schmerzenden Muskeln. Was auch immer in North Carolina geschah, er würde sehr froh sein, von diesem Schiff herunterzukommen.
Zwei Nächte darauf lag Roger tief im Traum, als ihn Geschrei weckte. Noch bevor sein Verstand die Tatsache registrierte, daß er wach war, waren seine Füße auf dem Deck gelandet und er war rasenden Herzens zum Fallreep unterwegs. Er machte einen Satz auf die Leiter zu, wo ihn ein Hieb gegen seine Brust zu Boden schleuderte.
»Bleib, wo du bist, Dummkopf!« knurrte Dixons Stimme von den obereren Sprossen. Der Kopf des Maates hob sich als Silhouette vor dem sternenbesäten Quadrat der Luke ab.
»Was ist los? Was ist passiert?« Er schüttelte die Verwirrung seines Traumes ab, stellte aber fest, daß das Wachsein nicht weniger verwirrend war.
Es waren noch andere Männer bei ihm im Dunkeln, er spürte, wie jemand über ihn stolperte, als er sich auf die Beine kämpfte. Doch der Lärm kam von oben; Füße donnerten über das Deck, und es erscholl ein Geschrei und Gekreische, wie er es noch nie gehört hatte.
»Mörder!« Eine Frauenstimme durchschnitt das Getöse, schrill wie eine Pfeife. »Hinterlistige Mör -« Die Stimme brach abrupt ab, und oben auf dem Deck ertönte ein schwerer Schlag.
»Was ist los?« Wieder auf den Beinen, schob sich Roger zwischen den Männern an der Leiter durch und
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