Der Ruf Der Trommel
bezweifelte er.
»Was machst du denn hier?« fragte sie.
Er löste ihre Finger und umfaßte sie fest.
»Nicht hier«, schnappte er. Er nahm ihren Arm und zog sie ein kleines Stück die Straße entlang in den Schutz einer großen Roßkastanie. Am Himmel glommen immer noch die Reste des Zwielichts, doch die herabhängenden Äste reichten fast bis auf den Boden, und darunter war es dunkel genug, um sich vor neugierigen Seelen zu verbergen, die auf die Idee kommen mochten, ihnen zu folgen.
In dem Moment, in dem sie den Schatten erreichten, ging sie auf ihn los.
»Was machst du hier, um Himmels willen?«
»Dich suchen, Dummkopf. Und was in drei Teufels Namen machst du hier? Noch dazu in dieser Aufmachung, zum Kuckuck!« Er hatte sie nur kurz in Hemd und Hosen zu Gesicht bekommen, doch es hatte gereicht.
In ihrer eigenen Zeit wären die Kleidungsstücke so weit gewesen, daß sie ihm geschlechtslos vorgekommen wären. Doch jetzt, nachdem er monatelang nur Frauen in langen Röcken und Arisaids gesehen hatte, kamen ihm die offen zur Schau gestellte Teilung ihrer Beine, die schiere, verdammte Länge ihrer Oberschenkel und die Rundungen ihrer Waden so empörend vor, daß er am liebsten ein Laken um sie geschlungen hätte.
»Verflixtes Weibsbild. Du könntest genausogut nackt über die Straße gehen!«
»Sei kein Idiot! Was machst du hier?«
»Das sage ich doch - ich suche dich.«
Dann packte er sie bei den Schultern und küßte sie hart. Angst, Wut, und die pure Erleichterung, sie gefunden zu haben, verschmolzen augenblicklich zu einem soliden Stoß des Verlangens, und er stellte fest, daß er zitterte. Sie auch. Sie klammerte sich an ihn und lag bebend in seinen Armen.
»Ist ja gut«, flüsterte er. Er vergrub seinen Mund in ihrem Haar. »Ist ja gut, ich bin hier. Ich kümmere mich um dich.«
Sie fuhr aus seiner Umarmung auf.
»Gut?« rief sie. »Wie kannst du das sagen? Um Himmels willen, du bist hier !«
Der Schrecken in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er packte sie beim Arm.
»Und wo zum Teufel sollte ich sonst sein, wenn du dich einfach so in das verdammte Nichts verkrümelst und deinen verdammten Hals riskierst und - warum zum Teufel hast du das getan?«
»Ich suche meine Eltern. Was sollte ich wohl sonst hier machen?«
»Das weiß ich, Himmel noch mal! Ich meine, warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, was du vorhattest?«
Sie riß ihren Arm aus seiner Umklammerung und verpaßte ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust, der ihn um ein Haar stolpern ließ.
»Weil du mich nicht gelassen hättest. Du hättest versucht, mich aufzuhalten, und…«
»Das hätte ich, allerdings! Gott, ich hätte dich irgendwo eingesperrt oder dich an Händen und Füßen festgebunden! Das ist ja wohl die bescheuertste Idee…«
Sie schlug ihn, eine schallende Ohrfeige, die ihn hart an der Wange traf.
»Schnauze!«
»Verdammtes Weibsbild! Erwartest du etwa von mir, daß ich dich ins - ins Nichts verschwinden lasse und zu Hause Däumchen drehe, während man dich auf dem Marktplatz zur Schau stellt? Wofür hältst du mich?«
Er spürte ihre Bewegung mehr, als daß er sie sah, und ergriff ihr Handgelenk, bevor sie ihn noch einmal ohrfeigen konnte.
»Dazu bin ich jetzt nicht in der Stimmung, hörst du? Schlag mich noch einmal, und beim Allmächtigen, ich tue dir etwas an!«
Sie ballte die andere Hand zur Faust und boxte ihn in den Bauch, blitzschnell wie eine zupackende Schlange.
Er hätte gern zurückgeschlagen. Statt dessen ergriff er sie, wickelte sich eine Handvoll ihrer Haare um die Faust und küßte sie hart.
Sie wand sich und kämpfte mit erstickten Geräuschen gegen ihn an, doch er ließ nicht von ihr ab. Dann erwiderte sie den Kuß, und sie sanken gemeinsam auf die Knie. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, als er sie auf den laubbedeckten Boden unter dem Baum bettete. Dann lag sie weinend in seinen Armen, hustete und japste, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie sich an ihn klammerte.
»Warum?« schluchzte sie. »Warum mußtest du mir folgen? War dir das denn nicht klar? Was sollen wir jetzt nur tun?«
»Inwiefern tun?« Er konnte nicht sagen, ob sie vor Wut weinte oder aus Angst - beides, dachte er.
Sie starrte durch ihre verworrenen Haarsträhnen zu ihm hoch.
»Wie kommen wir zurück? Man muß jemanden haben, zu dem man geht - jemanden, an dem einem etwas liegt. Du bist der einzige Mensch auf der anderen Seite, den ich liebe - oder du warst es! Wie soll ich denn
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