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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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»Es war, als ich in den letzten Osterferien nach Jamaika gefahren bin.«
    »Aye?« Nach Jamaika anstatt nach Schottland. Sie hatte ihn gebeten mitzufahren, und er hatte abgelehnt, dummerweise gekränkt, weil sie nicht automatisch vorgehabt hatte, zu ihm zu kommen.
    Sie holte tief Luft, atmete wieder aus und tupfte sich mit dem Hemdkragen über ihre Haut.
    »Ich hatte diese Träume«, sagte sie. »Von meinem Vater. Meinen Vätern. Allen beiden.«

    Die Träume waren kaum mehr als Fragmente gewesen; plastische Bilder von Frank Randalls Gesicht, dann und wann auch längere Szenen, in denen sie ihre Mutter sah. Und dann und wann einen hochgewachsenen, rothaarigen Fremden, von dem sie wußte, daß er der Vater war, dem sie noch nie begegnet war.
    »Besonders den einen Traum…« In dem Traum war es Nacht gewesen, irgendwo in den Tropen, mit Feldern aus hohen, grünen Pflanzen, die wohl Zuckerrohr waren, und Feuern, die in der Ferne brannten.
    »Es schlugen Trommeln, und ich wußte, daß sich etwas verbarg, im Zuckerrohr lauerte; etwas Furchtbares«, sagte sie. »Meine Mutter war da und trank Tee mit einem Krokodil.« Roger grunzte, und ihre Stimme verhärtete sich. »Es war ein Traum, klar?
    Dann trat er aus dem Zuckerrohr heraus. Ich konnte sein Gesicht nicht besonders gut sehen, aber ich konnte sehen, daß er rote Haare hatte; wenn er den Kopf drehte, glänzte es auf wie Kupfer.«
    »War er das schreckliche Wesen zwischen den Zuckerpflanzen?« fragte Roger.
    »Nein.« Er konnte ihre Haare hören, als sie den Kopf schüttelte. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und sie war kaum mehr als ein beruhigendes Gewicht auf seiner Brust, eine leise Stimme, die neben ihm aus dem Schatten kam.
    »Er stand zwischen meiner Mutter und dem schrecklichen Wesen. Ich konnte es nicht sehen, aber ich wußte, daß es da war und wartete.« Unwillkürlich zitterte sie leicht, und Roger umfaßte sie fester.
    »Dann wußte ich, daß meine Mutter aufstehen und direkt darauf zugehen würde. Ich habe versucht, sie aufzuhalten, doch ich konnte sie nicht dazu bringen, mich zu sehen oder zu hören. Also habe ich mich an ihn gewandt und ihm zugerufen, daß er mit ihr gehen sollte - sie davor retten sollte, was es auch immer war. Und er hat mich gesehen!« Die Hand auf seinem Oberschenkel drückte fest zu. »Wirklich, er hat mich gesehen, und er hat mich gehört. Und dann bin ich aufgewacht.«
    »Aye?« sagte Roger skeptisch. »Und deswegen bist du nach Jamaika gefahren, und…«
    »Es hat mich nachdenklich gemacht«, sagte sie scharf. »Du hattest ja nachgesucht; nach 1766 konntest du sie in Schottland nirgends mehr finden, und auf den Listen der Emigranten in die Kolonien hast du sie auch nicht gefunden. Und dann hast du gesagt, du meintest, wir sollten aufhören; daß wir nicht mehr herausfinden würden.«
    Roger war dankbar für die Dunkelheit, die seine Schuld verbarg. Er küßte sie schnell auf den Scheitel.

    »Aber ich war mir nicht so sicher; der Ort, an dem ich sie im Traum gesehen hatte, war in den Tropen. Was, wenn sie auf den Westindischen Inseln waren?«
    »Ich habe nachgesehen«, sagte Roger. »Ich habe die Passagierlisten aller Schiffe überprüft, die in den späten 1760ern und den 1770ern aus Edinburgh oder London abgefahren sind - egal, wohin. Das habe ich dir schon gesagt«, fügte er hinzu, Verärgerung in der Stimme.
    »Das weiß ich«, sagte sie nicht minder verärgert. »Aber was, wenn sie nicht als Passagiere gefahren sind? Warum sind die Leute denn damals - heute, meine ich - in die Karibik gefahren ?« Sie fing sich wieder, und ihre Stimme überschlug sich ein wenig, als ihr einfiel, wo sie war.
    »Handel, zum Großteil.«
    »Genau. Was also, wenn sie mit einem Frachtschiff gefahren waren? Dann würden sie auf keiner Passagierliste auftauchen.«
    »Okay«, sagte er langsam. »Stimmt, das würden sie nicht. Aber wie sollte man sie dann suchen?«
    »Lagerhausregister, Geschäftsbücher von Plantagen, Hafenunterlagen. Ich habe die ganzen Ferien in Museen und Bibliotheken verbracht. Und - und ich habe sie gefunden«, sagte sie mit leicht verhaltener Stimme.
    Himmel, sie hatte die Notiz gefunden.
    »Aye?« sagte er, um Ruhe bemüht.
    Sie lachte ein wenig zittrig.
    »Ein James Fraser, Kapitän eines Schiffes namens Artemis , hat einem Pflanzer in Montego Bay am zweiten April 1767 fünf Tonnen Fledermausguano verkauft.«
    Roger konnte ein belustigtes Grunzen nicht unterdrücken, doch genausowenig konnte er sich den

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