Der Ruf Der Trommel
sie beim Konzert einen guten Platz bekam.
Er schwang sich das Plaid über die Schulter, befestigte seine Brosche, umgürtete sich mit Dolch und Sporran, und dann war er soweit. Oder doch nicht ganz. Auf halbem Weg zur Tür hielt er inne.
Die uralte olivfarbige Unterhose stammte aus Militärbeständen, zirka Zweiter Weltkrieg, eins der wenigen Erinnerungsstücke an seinen Vater, die Roger besaß. Normalerweise trug er selten Unterhosen, doch manchmal benutzte er sie unter seinem Kilt als Verteidigungsmaßnahme gegen die erstaunliche Unverfrorenheit mancher Zuhörerinnen. Andere Musiker hatten ihn gewarnt, doch er hätte ihnen nicht geglaubt, hätte er es nicht am eigenen Leib erfahren. Deutsche waren am schlimmsten, aber er war auch schon auf einige Amerikanerinnen getroffen, die sich fast genausoviel herausnahmen, wenn er in ihre Nähe geriet.
Er glaubte nicht, daß solche Vorsichtsmaßnahmen hier nötig waren; das Publikum machte einen zivilisierten Eindruck, und er hatte gesehen, daß die Bühne außer Reichweite war. Und wenn er nicht auf der Bühne stand, würde Brianna bei ihm sein, und falls sie vorhatte, sich etwas herauszunehmen… Er warf die Unterhose wieder in die Tasche, oben auf den braunen Umschlag.
»Drück mir die Daumen, Paps«, flüsterte er und ging sie suchen.
»Wahnsinn!« Sie ging um ihn herum und machte Stielaugen. »Roger, du bist eine Wucht!« Sie lächelte ein wenig schief. »Meine Mutter hat immer gesagt, daß Männer in Kilts unwiderstehlich sind. Da hatte sie wohl recht.«
Er sah, wie sie schluckte, und hätte sie am liebsten für ihre Tapferkeit umarmt, doch sie hatte sich schon abgewandt und zeigte auf die Imbißbuden.
»Hast du Hunger? Ich habe mich umgesehen, während du dich umgezogen hast. Wir können wählen zwischen Tintenfischspießchen, Baja Fischtacos, polnischen Hot Dogs -«
Er nahm sie am Arm und drehte sie zu sich um.
»Hey«, sagte er leise, »es tut mir leid. Ich hätte dich nicht hergebracht, wenn ich geahnt hätte, daß es so ein Schock für dich sein würde.«
»Schon in Ordnung.« Diesmal war ihr Lächeln überzeugender. »Es ist - ich bin froh, daß du mich mitgenommen hast.«
»Wirklich?«
»Ja. Wirklich. Es ist -« Sie deutete hilflos auf das karierte Getümmel um sie herum. »Es ist so - schottisch.«
Fast hätte er gelacht: Nichts hätte Schottland weniger ähneln können als diese Mischung aus Touristennepp und dreistem Verkauf von pseudotraditionellem Ramsch. Gleichzeitig hatte sie recht, es war typisch schottisch, ein Beispiel für das uralte Überlebenstalent der Schotten - die Fähigkeit, sich allen Verhältnissen anzupassen und daraus Profit zu schlagen.
Diesmal umarmte er sie wirklich. Ihr Haar roch sauber und nach frischem Gras, und er spürte ihr Herz unter ihrem weißen T-Shirt schlagen.
»Du bist auch Schottin, weißt du?« flüsterte er ihr ins Ohr und ließ sie wieder los. Ihre Augen leuchteten immer noch, aber jetzt lag ein anderer Ausdruck darin, dachte er.
»Da hast du wohl recht«, sagte sie und lächelte wieder, diesmal von Herzen. »Das heißt aber nicht, daß ich Haggis essen muß, oder? Ich habe da drüben welchen gesehen und mir gedacht, ich versuche es lieber mit einem Tintenfischspießchen.«
Er hatte gedacht, sie hätte einen Witz gemacht, aber das stimmte nicht. Der Veranstaltungsort hatte sich voll und ganz auf »folkloristische Veranstaltungen« verlegt, wie es einer der Standbetreiber nannte.
»Polkatanzende Polen, Jodler aus der Schweiz - Mensch, die hatten mindestens zehn Millionen Kuckucksuhren dabei! Spanier, Italiener, japanische Kirschblütenfeste - unglaublich, wie viele Kameras
die Japse haben, einfach unglaublich.« Der Mann schüttelte gedankenverloren den Kopf und schob zwei Pappteller mit Hamburgern und Fritten herüber.
»Wie auch immer, alle zwei Wochen ist hier was anderes los. Da kommt keine Langeweile auf. Wir verkaufen natürlich einfach weiter, egal, welche Sorte Essen.« Der Mann warf einen interessierten Blick auf Rogers Kilt.
»Und, sind Sie Schotte oder tragen Sie nur gern’nen Faltenrock?«
Roger, der schon einige Dutzend Variationen dieser Hänselei gehört hatte, blickte den Mann ausdruckslos an.
»Nun, wie mein alter Großvater immer gesagt hat«, begann er, wobei er immer stärker ins Schottische verfiel, »wenn du dein’ Kilt anziehst, Jungchen, kannste auch sicher sein, daß du’n Mann bist.«
Der Mann krümmte sich vor Lachen, und Brianna verdrehte die Augen.
»Kiltwitze«,
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