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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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eines Geistes erzittern, in der Dunkelheit verschwinden.
    Die Pleiaden. Cassiopeia. Das Sternbild des Stiers. Der Himmel ist weit, und du bist sehr klein. Tot, aber deshalb nicht weniger stark. Er spreizte seine Hände, die sich am Zaun festhielten - auch diese waren stark. Genug, um einen Mann totzuschlagen, ihn zu erwürgen. Doch selbst der Tod reichte nicht aus, um die Fesseln der Wut zu lösen.

    Mit großer Anstrengung ließ er los. Drehte seine Handflächen himmelwärts, eine Geste der Unterwerfung. Griff suchend über die Sterne hinaus. Die Worte formten sich still in seinem Bewußtsein, gewohnheitsmäßig, so still, daß er sie gar nicht bemerkte, bis er sie als Flüstern von seinen Lippen widerhallen hörte.
    »›… Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. ‹«
    Er atmete langsam und tief. Suchte, rang; kämpfte darum, loslassen zu können. »›Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.‹«
    Wartete in Leere, in Zuversicht. Und dann kam die Gnade; die Vision, die er brauchte; die Erinnerung an Jack Randalls Gesicht in Edinburgh, bis ins Innerste erschüttert angesichts der Gewißheit, daß sein Bruder tot war. Und er spürte erneut die Gabe des Mitleids, das ihn so sacht überkam wie die Landung einer Taube.
    Er schloß die Augen und spürte, wie sich seine blutenden Wunden wieder reinigten, während der Sukkubus seine Klauen von seinem Herzen nahm.
    Er seufzte und spürte das rauhe Holz des Zaunes tröstend und fest unter seinen Handflächen, als er jetzt die Hände wieder umdrehte. Der Dämon war fort. Er war ein Mensch gewesen, Jack Randall; mehr nicht. Und mit der Erkenntnis seiner gemeinen, zerbrechlichen Menschlichkeit löste sich alle Macht vergangener Furcht und vergangenen Schmerzes in Rauch auf.
    Seine Schultern fielen herab, von ihrer Bürde befreit.
    »Geh in Frieden«, flüsterte er dem Toten und sich selber zu. »Dir ist vergeben.«
    Die Nachtgeräusche waren zurückgekehrt; der Ruf einer jagenden Katze stieg abrupt in die Luft, und verrottende Blätter knisterten sanft unter seinen Füßen, als er zum Haus zurückging. Die Ölhaut, die das Fenster bedeckte, glühte golden in der Dunkelheit - die Flamme der Kerzen, die er in der Hoffnung auf Claires Rückkehr hatte brennen lassen. Seine Zuflucht.
    Vielleicht hätte er Brianna all das auch sagen sollen, dachte er - doch nein. Sie hatte schon nicht verstehen können, was er ihr gesagt hatte ; er hatte es ihr zeigen müssen. Wie sollte er ihr also mit Worten erklären, was er durch Schmerzen und Gnade gelernt hatte? Daß sie nur vergessen konnte, wenn sie vergab - und daß das Vergeben kein einmaliger Akt war, sondern eine Sache ständiger Übung.
    Vielleicht konnte sie selbst diese Gnade finden; vielleicht konnte dieser unbekannte Roger Wakefield ihre Zuflucht sein, so wie Claire
die seine gewesen war. Er stellte fest, daß sich seine instinktive Eifersucht auf den Mann in dem leidenschaftlichen Wunsch auflöste, daß Wakefield ihr wirklich das geben konnte, was er selbst nicht konnte. Gebe Gott, daß er bald kam; gebe Gott, daß er sich als anständiger Kerl erwies.
    In der Zwischenzeit mußte er sich um andere Dinge kümmern. Er ging langsam den Hügel hinab, ohne sich am Wind zu stören, der ihm den Kilt um die Knie wehte und ihm Hemd und Plaid aufblähte. Hier war viel zu tun; der Winter stand vor der Tür, und er konnte seine Frauen hier nicht allein lassen, wenn nur Ian für sie jagen und sie verteidigen konnte. Er konnte nicht fortgehen, um nach Wakefield zu suchen.
    Doch wenn Wakefield nicht kam? Nun, es gab andere Möglichkeiten; er würde dafür sorgen, daß Brianna und das Kind Schutz fanden, so oder so. Und immerhin war seine Tochter sicher vor dem Mann, der ihr Schaden zugefügt hatte. Für immer sicher. Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Er roch immer noch das Blut vom Kalben auf seiner Haut.
    Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Ja, aber was war mit denen, die sich an jenen versündigten, die wir lieben? Er konnte nicht für jemand anderen Vergebung üben - und hätte es selbst dann nicht getan. Aber wenn nicht… wie sollte ihm dann vergeben werden?
    Er war an den Universitäten von Paris erzogen worden, war mit Königen vertraut und mit Philosophen befreundet gewesen und war doch immer noch ein Highlander, geboren für seine Sippe, seine Ehre. Hatte den Körper eines Kriegers, den Verstand eines gebildeten Mannes - und die Seele

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