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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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eines Barbaren, dachte er voll Ironie, dem weder Gott noch Menschengesetz heiliger waren als seine Familienbande.
    Ja, Vergebung war möglich; sie mußte einen Weg finden, dem Mann zu vergeben, um ihrer selbst willen. Doch bei ihm lagen die Dinge anders.
    »›Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.‹« Er flüsterte die Worte vor sich hin.
    Dann blickte er auf, fort von dem sicheren, kleinen Leuchten von Heim und Herd zu der flammenden Glorie der Sterne über ihm.
    »Das ist gar nicht wahr«, sagte er laut, beschämt, aber trotzig. Es war undankbar, das wußte er. Und falsch natürlich. Doch so war es nun einmal, und es war sinnlos, sich selbst oder Gott etwas vorzulügen.
    »Das ist gar nicht wahr«, wiederholte er, lauter. »Und wenn ich zur
Hölle fahre für das, was ich getan habe - dann soll es eben so sein! Sie ist meine Tochter.«
    Er stand einen Augenblick still und blickte empor, doch die Sterne gaben keine Antwort. Er nickte einmal, wie zur Erwiderung, und ging dann den Hügel hinab, den Wind kalt im Rücken.

49
    Wer die Wahl hat…
    November 1769
    Ich öffnete Daniel Rawlings’ Kiste und starrte auf die Reihen der Flaschen, gefüllt mit dem sanften Grün und Braun zerstampfter Wurzeln und Blätter, dem klaren Gold der Destillate. Es war nichts dabei, was helfen konnte. Ganz langsam hob ich die Abdeckung an, die über dem oberen Fach lag, über den Klingen.
    Ich hob das Skalpell mit der gebogenen Klinge und spürte einen kalten Metallgeschmack im Hals. Es war ein wunderschönes Instrument, scharf und stabil, gut ausgewogen, ein Teil meiner Hand, wenn ich es wollte. Ich balancierte es auf meiner Fingerspitze und ließ es vor- und zurückschwanken.
    Ich legte es hin und ergriff die lange, dicke Wurzel, die auf dem Tisch lag. Ein Teil des Stiels hing noch daran, und die Überreste der Blätter waren schlaff und gelb. Nur eine. Ich hatte den Wald fast zwei Wochen lang abgesucht, doch es war schon so spät im Jahr, daß die Blätter der kleineren Kräuter verwelkt und abgefallen waren; es war unmöglich, Pflanzen zu erkennen, die nur noch aus braunen Stengeln bestanden. Diese hier hatte ich an einer geschützten Stelle gefunden, und ein paar der auffälligen Früchte hatten noch an ihrem Stiel gehangen. Frauenwurzel, dessen war ich mir sicher. Aber nur eine. Es war nicht genug.
    Ich hatte keine europäischen Kräuter, keinen Nieswurz, keinen Wermut. Wermut konnte ich vielleicht bekommen, wenn auch unter Schwierigkeiten; man benutzte ihn als Geschmacksbestandteil bei der Herstellung von Absinth.
    »Und wer stellt in den entlegensten Ecken von North Carolina Absinth her?« sagte ich laut und griff erneut nach dem Skalpell.
    »Niemand, von dem ich wüßte.«
    Ich fuhr zusammen, und die Klinge stieß tief von der Seite in meinen Daumen. Blut spritzte über die Tischplatte, und ich schnappte nach dem Saum meiner Schürze und drückte den Stoff reflexartig fest gegen die Wunde.

    »Himmel, Sassenach! Alles in Ordnung? Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Es tat noch nicht besonders weh, doch ich biß mir vor Schreck über die plötzliche Verletzung auf die Lippe. Mit besorgtem Gesicht ergriff Jamie mein Handgelenk und hob den Rand des zusammengeballten Stoffes an. Blut quoll aus dem Schnitt hoch, lief mir an der Hand herunter, und er klappte den Stoff wieder zurück und drückte ihn fest an.
    »Ist schon gut; nur ein Schnitt. Wo kommst du denn her? Ich dachte, du wärst oben bei der Destillerie.« Ich fühlte mich überraschend wackelig, vielleicht durch den Schock.
    »Das war ich auch. Die Maische ist noch nicht so weit, daß wir mit der Destillation anfangen können. Du blutest wie ein angestochenes Schwein, Sassenach. Bist du sicher, daß alles in Ordnung ist?« Ich blutete wirklich stark; abgesehen von den Blutspritzern auf dem Tisch war der Rand meiner Schürze dunkelrot durchtränkt.
    »Ja. Wahrscheinlich habe ich eine kleine Vene durchtrennt. Aber es ist keine Arterie; es hört gleich auf. Halt meine Hand hoch, ja?« Ich kämpfte einhändig mit meinen Schürzenbändern und versuchte, sie aufzuziehen. Jamie löste sie mit einem schnellen Ruck, wickelte mir die Schürze um die Hand und hielt mir das ganze, klobige Bündel über den Kopf.
    »Was hattest du denn mit dem Messer vor?« fragte er und betrachtete das fallengelassene Skalpell, das neben der gewundenen Frauenwurzel lag.
    »Äh… ich wollte die Wurzel da kleinschneiden«, sagte ich mit einer schwachen Handbewegung in Richtung der

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