Der Ruf Der Trommel
müssen mich herkommen lassen, damit ich mich verabschiede.«
Jamies Lippen waren weiß geworden.
»Himmel, Ian«, flüsterte er.
»Heute abend ist die Zeremonie der Namensgebung«, sagte Ian und versuchte, uns nicht anzusehen. »Sie sagen, danach bin ich ein Indianer und darf nur noch die Sprache der Kahnyen’kehaka sprechen; ich darf kein Englisch oder Gälisch mehr sprechen.« Er lächelte verlegen. »Und ich wußte, daß du nicht viel Mohawk sprichst.«
»Ian, das kannst du nicht tun!«
»Ich habe es schon getan, Onkel Jamie«, sagte Ian leise. Dann sah er mich an.
»Tante Claire. Kannst du meiner Mutter sagen, daß ich sie nicht vergessen werde? Mein Pa weiß es auch so, glaube ich.«
»Oh, Ian!« Ich drückte ihn fest, und er legte sanft die Arme um mich.
»Ihr könnt morgen aufbrechen«, sagte er zu Jamie. »Sie werden euch nicht aufhalten.«
Ich ließ ihn los, und er ging zu der Stelle, wo Roger stand und ein verblüfftes Gesicht machte. Ian bot ihm die Hand an.
»Es tut mir leid, was wir Euch angetan haben«, sagte er leise. »Paßt Ihr gut auf meine Cousine und das Kleine auf?«
Roger ergriff seine Hand und schüttelte sie. Er räusperte sich und fand seine Stimme wieder.
»Ja«, sagte er. »Das verspreche ich.«
Dann wandte sich Ian Jamie zu.
»Nein, Ian«, sagte er. »Gott, nein, Junge. Laß es doch mich sein!«
Ian lächelte, obwohl seine Augen voller Tränen waren. »Du hast einmal zu mir gesagt, mein Leben sei nicht dazu da, verschwendet zu werden«, sagte er. »Und das wird es auch nicht.« Er streckte die Arme aus. »Dich vergesse ich auch nicht, Onkel Jamie.«
Kurz vor Sonnenuntergang brachten sie Ian zum Flußufer. Er zog sich aus und trat in das eiskalte Wasser, begleitet von drei Frauen, die ihn untertauchten, ihn knufften und ihn lachend mit Sand abschrubbten. Rollo lief am Ufer auf und ab und bellte wie wahnsinnig, dann sprang er in den Fluß und schloß sich dem an, was er offenbar für Spaß und Spiel hielt, wobei er Ian fast ertränkte.
Sämtliche Zuschauer, die das Ufer säumten, fanden es urkomisch - bis auf die drei Weißen.
Als das weiße Blut symbolisch aus Ians Körper gewaschen worden war, trockneten ihn ein paar Frauen ab, zogen ihm frische Kleider an und brachten ihn zur Zeremonie der Namensgebung in das Langhaus des Rates.
Alles drängte sich im Innenraum; das ganze Dorf war anwesend. Jamie, Roger und ich standen schweigend in der Ecke und sahen zu, wie der Sachem über ihm sprach und sang, wie Trommeln schlugen, wie die Pfeife angezündet wurde und von Hand zu Hand ging. Das Mädchen, das er Emily nannte, stand neben ihm, und ihre Augen leuchteten, als sie ihn ansah. Ich sah, wie er ihren Blick erwiderte, und das Leuchten, das dabei auch seine Augen erfüllte, trug etwas dazu bei, die Trauer in meinem Herzen zu lindern.
Sie nannten ihn Wolfsbruder. Sein Bruder, der Wolf, saß hechelnd zu Jamies Füßen und beobachtete die Vorgänge interessiert.
Am Ende der Zeremonie fiel ein kurzes Schweigen über die Menge, und in diesem Moment trat Jamie aus der Ecke. Alle Köpfe drehten sich, als er zu Ian hinüberging, und ich sah, wie sich mehr als ein Krieger mißbilligend anspannte.
Er löste die Brosche von seinem Plaid, gürtete es auf und legte seinem Neffen den blutbefleckten, leuchtend roten Tartan über die Schulter.
» Cuimhnich «, sagte er leise und trat zurück. Erinnere dich .
Wir waren alle drei sehr still, als wir am nächsten Morgen dem schmalen Pfad folgten, der vom Dorf fortführte. Mit weißem Gesicht hatte
sich Ian formell von uns verabschiedet, während er bei seiner neuen Familie stand. Doch ich war nicht so tapfer gewesen, und als Ian meine Tränen sah, biß er sich auf die Lippe, um seine eigenen Gefühle in Schach zu halten. Jamie hatte ihn umarmt, ihn auf den Mund geküßt und sich ohne ein Wort abgewandt.
Jamie schlug in dieser Nacht das Lager mit seiner üblichen Effizienz auf, doch es war zu spüren, daß seine Gedanken anderswo weilten. Kein Wunder; meine eigenen waren zerrissen zwischen der Sorge um Ian hinter uns und der Sorge um Brianna vor uns, und für unsere gegenwärtigen Umstände hatte ich nur sehr wenig Aufmerksamkeit übrig.
Roger lud eine Ladung Holz neben dem Feuer ab und setzte sich neben mich.
»Ich habe nachgedacht«, sagte er leise. »Über Brianna.«
»Ja? Ich auch.« Ich war so müde, daß ich dachte, ich würde kopfüber in die Flammen purzeln, bevor ich das Wasser zum Kochen gebracht hatte.
»Du hast
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