Der Ruf Der Trommel
war sie doch auch nicht unansehnlich. Ihre Eifersucht reflektierte meine Erscheinung besser als jeder Spiegel, dachte ich.
»Was für ein schöner Stein, Mrs. Fraser - erlaubt Ihr mir, ihn genauer anzusehen?« Der Baron beugte sich zu mir herüber, und seine Wurstfinger schwebten gefährlich dicht über meinem Ausschnitt.
»Oh, aber sicher«, sagte ich hastig, öffnete schnell den Verschluß der Kette und ließ den Rubin in seine breite, feuchte Hand fallen. Der Baron machte ein etwas enttäuschtes Gesicht darüber, daß es ihm nicht vergönnt war, den Stein in situ zu begutachten, doch er hob die Hand und blinzelte den funkelnden Tropfen mit der Miene eines Kenners an - der er offensichtlich war, denn er griff in seine Westentasche und zog eine kleine Vorrichtung heraus, die sich als Kombination optischer Linsen erwies und sowohl ein Vergrößerungsglas als auch eine Juwelierlupe enthielt.
Ich entspannte mich bei diesem Anblick und ließ mir eine Portion von einem heißen, herzhaft duftenden Gericht geben, das der Butler in einer Glasschüssel umhertrug. Was dachten sich die Leute nur dabei, heißes Essen zu servieren, wo die Raumtemperatur mindestens fünfunddreißig Grad betrug?
»Schön«, murmelte der Baron und drehte den Stein sanft in seiner Hand. »Sehr schön.«
Es gab nicht viele Dinge, bei denen ich Geillis Duncan vertraut hätte, aber ich war mir sicher, daß sie einen untrüglichen Geschmack für Edelsteine gehabt hatte. »Es muß ein erstklassiger Stein sein«, hatte sie zu mir gesagt, als sie mir ihre Theorie der Zeitreise mit Hilfe von Edelsteinen erklärte. »Groß und völlig makellos.«
Der Rubin war groß, das stimmte; er hatte fast die Größe der eingelegten Wachteleier, die den vollständig gefiederten Fasan auf der Anrichte umrahmten. Und was seine Makellosigkeit anging, so hatte ich keinerlei Zweifel. Geillis hatte darauf vertraut, daß dieser Stein sie in die Zukunft tragen würde, da würde er uns wohl bis Cross Creek bringen. Ich kostete das Gericht auf meinem Teller; eine Art Ragout, dachte ich, sehr zart und aromatisch.
»Wie köstlich das ist«, sagte ich zu Mr. Stanhope und nahm noch eine Gabel. »Wißt Ihr, was das ist?«
»Oh, das ist eins meiner Lieblingsgerichte, Ma’am«, sagte er und roch selig an seinem Teller. »Eingelegter Schweinskopf. Himmlisch, nicht wahr?«
Ich schloß die Tür von Vetter Edwins Zimmer hinter mir und lehnte mich dagegen, während ich vor Erleichterung darüber, nicht mehr ständig lächeln zu müssen, meine Kinnlade herunterfallen ließ. Jetzt konnte ich das Kleid ausziehen, das mir am Körper klebte, das enge Mieder aufschnüren und aus den verschwitzten Schuhen schlüpfen.
Friede, Einsamkeit, Nacktheit und Stille. Ich konnte mir im Augenblick nicht vorstellen, was mir sonst noch zum vollkommenen Glück fehlen sollte, vielleicht mit Ausnahme von frischer Luft. Ich zog mich aus und ging, nur mit meinem Hemd bekleidet, zum Fenster.
Draußen war die Luft so dick, daß ich das Gefühl hatte, ich hätte aus dem Fenster steigen und heruntersinken können wie ein Kiesel in einem Glas Melasse. Insekten stürzten sich lichthungrig und blutrünstig auf meine Kerzenflamme. Ich blies sie aus, setzte mich im Dunkeln auf die Fensterbank und ließ mich von der sanften, warmen Luft einhüllen.
Der Rubin hing immer noch um meinen Hals, schwarz wie ein Blutstropfen auf meiner Haut. Ich berührte ihn und ließ ihn sanft zwischen meinen Brüsten schwingen; der Stein war auch so warm wie mein Blut.
Draußen machten sich die Gäste auf den Heimweg. In der Auffahrt warteten eine Reihe Kutschen. Abschiedsgrüße, Unterhaltungen und leises Gelächter trieben in Fetzen zu mir herauf.
»…sehr geistreich, fand ich«, hörte ich Phillip Wylies gepflegten Singsang.
»Oh, geistreich , natürlich war das geistreich !« Die schrille Stimme seiner Schwester besagte deutlich, was sie von Esprit hielt.
»Nun, man kann es tolerieren, wenn eine Frau geistreich ist, meine Liebe, solange sie auch hübsch anzusehen ist. Ebenso kann eine schöne Frau vielleicht auf Klugheit verzichten, solange sie die Geistesgegenwart besitzt, diesen Mangel zu verbergen, indem sie den Mund hält.«
Man konnte Miss Wylie vielleicht nicht des Esprits bezichtigen, doch sie hatte sicherlich genug Verstand, um diesen Seitenhieb zu verstehen. Sie schnaubte wenig damenhaft.
»Sie ist mindestens tausend Jahre alt«, antwortete sie. »Hübsch anzusehen, lieber Himmel. Aber ich muß zugeben, daß
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