Der Ruf des Abendvogels Roman
gelangen! Mein lieber Devlin würde sich im Grabe umdrehen ...«
Riordan hatte schnell erfasst, dass Lady Bowers wohl eher verlegen als enttäuscht war. Der Geschäftsführer hatte sich ihr gegenüber wohl recht brüsk verhalten.
»Lady Bowers«, meinte Riordan beschwörend, »so schnell werden Sie doch wohl nicht aufgeben! Ich hatte mich so darauf gefreut, die Ausführung ihres Plans mitzuerleben!«
Sie zögerte. Ihre missliche Lage rührte Riordan. Er war wirklich so enttäuscht darüber, ihre Vorstellung nun vielleicht doch nicht erleben zu können, dass er beschloss, ihr zu helfen. Mit einem Blick auf den Mann hinter dem Schreibtisch flüsterte er: »Vielleicht müsste er nur noch einmal darauf hingewiesen werden, wer Sie sind?«
Lady Bowers starrte den Mann an, der sie soeben wie einen Niemand hinausgewunken hatte. »Sie haben Recht!«, erwiderte sie, und ihre Entschlossenheit kehrte zurück. Sie hob den Kopf und straffte die Schultern, um dann wieder auf den Tisch zuzugehen. Dort blickte sie auf den Mann herab, der ganz auf einige Schriftstücke konzentriert zu sein schien.
»Ich bin Lady Morna Bowers«, sagte sie so eindringlich, dass der Mann überrascht aufblickte. »Darf ich Sie um Ihren Namen und Ihren Titel bitten?«
Sekunden lang wirkte der Mann verärgert, doch als Riordan hinter Morna auftauchte, malte sich Verwirrung auf seinen Zügen.
»Ich bin ... Kelvin Kendrick, der Geschäftsführer der Galerie, Madam. Ich muss mich wohl für meine Unhöflichkeit entschuldigen ... Ich wusste nicht, dass Sie ...« Er räusperte sich nervös. Sein Blick ging einige Male zwischen Riordan und ihr hin und her. »Ich habe nicht einen Augenblick lang angenommen ...« Sein Gesicht überzog sich mit tiefer Röte. »Bitte vergeben Sie mir meine unentschuldbare Anmaßung!«
Lady Bowers Lebensgeister kehrten zurück. »Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, den Besitzer der Galerie zu verständigen, werde ich ihre Unhöflichkeit nicht erwähnen.«
Kelvin Kendricks Miene wirkte absolut ausdruckslos. Er starrte wieder an ihr vorbei. »Ich ... ich bin nicht ganz sicher, ob der Besitzer zurzeit ... verfügbar ist.«
»Dann versuchen Sie bitte, das herauszufinden. Ich kann hier nicht den ganzen Tag herumstehen!«
»Wenn ich kurz unterbrechen dürfte, Lady Bowers«, meinte Riordan, »würde ich vorschlagen, dass Mr. Kendrick Sie in ein Büro führt, wo Sie in Ruhe auf den Besitzer warten können.«
Sie wandte sich zu ihm um. »Vielen Dank, Riordan! Wie Sie sehen, habe ich die Situation unter Kontrolle.«
Kelvin hatte ihre Worte mitgehört und war so verlegen, dass sein Gesicht fast dunkelrot anlief. Lady Bowers wandte sich ihm wieder zu, während Riordan mit dem Lachen kämpfte. »Wenn Sie ein ruhiges Büro haben, dann führen Sie mich bitte dorthin«, kommandierte sie.
Kelvin zögerte nur einen winzigen Augenblick. »Sehr gern, Madam. Wenn Sie mir bitte folgen würden? Ich werde sehen, ob ich den Besitzer ... finden kann.«
»Bitte teilen Sie ihm mit, dass ich über gute Beziehungen zur europäischen Kunstszene verfüge und nicht zögern würde, sie zu nutzen.«
Die Röte in Kelvins Gesicht breitete sich bis zu seinem Hals hin aus.
Morna drehte sich noch einmal zu Riordan um. »Sie können jetzt gehen, Mr. Magee. Ich habe wirklich alles unter Kontrolle.«
»Das sehe ich«, erklärte er. »Auf Wiedersehen, und viel Glück. Ich hoffe, wir begegnen uns bald wieder.«
Sein graublauen Augen zwinkerten amüsiert. »Vielen Dank, dass Sie mich hierher begleitet haben«, sagte sie. Dann nahm sie ihr Gemälde und folgte Kelvin Kendrick den Flur hinunter in ein großzügiges Büro. Er führte sie hinein und ging wieder fort.
Die Einrichtung des Privatbüros war schlicht, aber elegant. Ein antiker Tisch und zwei bequeme Ledersessel waren außer einem schmalen Bücherregal und einer Marmorbüste das einzigeMobiliar. Der Boden war mit geschmackvollen Teppichen ausgelegt, die den Raum gemütlicher wirken ließen. Wertvolle Kunstwerke zierten die Wände, die meisten davon Impressionisten und zu ausgefallen für ihren Geschmack.
In der Ecke hinter der Tür standen einige weitere Bilder, die teilweise mit einem Tuch verhängt waren. Neugierig zog sie das Tuch fort und schaute sich die Gemälde an. Bei den meisten Bildern handelte es sich um Landschaften und Porträtstudien ... Plötzlich jedoch hielt Morna inne – und stutzte: Sie starrte auf ein Porträt, das sie selbst an einem Lagerfeuer zeigte, bekleidet mit einer sehr
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