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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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freizügigen ärmellosen Bluse und einem Seidenrock, der die ganze Länge ihrer wohlgeformten Beine sehen ließ. Der Feuerschein ließ ihr kupferfarbenes Haar schimmern und spiegelte sich in ihren großen, goldenen Ohrringen. Das blasse Oliv ihrer Haut schien förmlich zu glühen, und in ihrem Blick stand sehnsuchtsvolles Begehren. Das war eine kurze, sehr glückliche Zeit in ihrem Leben gewesen, doch dann hatte sich alles so schnell verändert ...
    Morna überlegte, wie das Bild wohl in die Galerie gekommen war. Es war ein Geschenk an ihre Tante gewesen, die geschworen hatte, sich niemals davon zu trennen. Allerdings war diese Tante einige Jahre zuvor angeblich nach Übersee ausgewandert. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenfahren.
    »Der Besitzer ist zurzeit nicht zu sprechen«, erklärte Kelvin Kendrick kühl. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
    Sein Angebot klang gezwungen, aber im Grunde genommen war es ihr so eigentlich lieber, denn sie ahnte instinktiv, dass Kelvin Kendrick leichter zu manipulieren sein würde.
    Lady Bowers stellte das eben entdeckte Bild vor die übrigen. »Könnten Sie mir sagen, wie der Galeriebesitzer an dieses Porträt gekommen ist?«, fragte sie, um einen sachlichen Ton bemüht.
    Kelvin wirkte überrascht. Er hatte das Bild nie sehr gemocht. »Ich weiß nicht – ich glaube, er hat es in Übersee erstanden, Madam.«
    Also musste ihrer Tante etwas zugestoßen sein! Sie beschloss, später noch einmal in die Galerie zu kommen, um mit dem Besitzer zu sprechen.
    »Mr ...« Kelvin hüstelte statt zu sagen, was er eigentlich hatte sagen wollen. »Entschuldigen Sie. Ich weiß zufällig, dass es nicht zu verkaufen ist«, fuhr er fort. Die Verachtung in seiner Stimme war nicht zu verkennen. »Meiner Meinung nach ist es technisch nicht besonders gut, aber ich glaube, der Besitzer hat persönliche Gründe dafür, das Bild zu behalten. Normalerweise führen wir solche ... Arbeiten nicht in der Galerie.«
    Sie wusste genau, was er meinte: Das Porträt einer Zigeunerin wurde nicht für würdig befunden, einen Platz in der Harcourt Gallery einzunehmen.
    »Aus einem mir unbekannten Grund hat der Besitzer allerdings nach dem Künstler suchen lassen, um mehr von ihm anzukaufen«, fügte Kelvin hinzu.
    »Tatsächlich?« Lady Bowers lächelte hocherfreut.

2
    D ie Dunkelheit brach schon herein, und die Straßenlaternen brannten bereits, als Lady Bowers und Mr. Kendrick ihr Geschäft abgeschlossen hatten. Er geleitete sie zur Tür der Galerie, an der gerade eine Zigeunerfamilie vorüberging.
    »Diebisches Gesindel!«, murmelte Kelvin. »Warten Sie am besten hier drinnen, bis die vorbei sind, Lady Bowers, sonst werden Sie am Ende noch um die hübsche Geldbörse erleichtert, die Sie bei sich tragen!«
    Morna erkannte die Zigeuner sofort. Rosa und Jasper hatten fünf Kinder zu ernähren. Wie viele andere, litten auch sie unter der allgemeinen Wirtschaftskrise, aber sie waren bemüht, alles zu tun, um irgendwie für die Kleinen zu sorgen.
    »Die Zigeuner sind nicht so schlecht, wie die Leute glauben«, hörte sie sich plötzlich sagen. »Sie leben nach ihren eigenen Gesetzen, die vielleicht anders sind als Ihre und meine – aber ich glaube, die meisten von ihnen sind durchaus ehrenwerte Menschen.«
    Erstaunt starrte Kelvin sie an. »Aber Sie kennen doch sicher keinen Zigeuner persönlich, Lady Bowers? Ansonsten würden Sie ganz gewiss nicht so großmütig über sie denken.«
    »Mein Vater und mein verstorbener Onkel erlaubten den Zigeunern, auf ihrem Land zu lagern. Mein Onkel hatte ein gewisses künstlerisches Talent, und man sagte mir, dass ihm die Zigeunerfrauen Modell gestanden hätten. Da ich seine Werke nie sehen durfte, kann ich nur annehmen, dass die Bilder eher ... gewagt gewesen sind.«
    Kelvin Kendrick war völlig konsterniert, wie Lady Bowers zufrieden bemerkte. »Der Besitzer der Galerie muss das Gemälde in seinem Büro schon mögen«, fügte sie hinzu, »sonst würde er Sie doch wohl kaum beauftragt haben, andere Werke desselben Künstlers anzukaufen!«
    Kelvins abweisender Blick sprach dafür, dass die Vorliebe des Besitzers für das Zigeunerbild ihm vollkommen unverständlich war. Oft schon hatte er seinen Arbeitgeber dazu bewegen wollen, es abzugeben, doch dieser hatte nichts davon hören wollen. Allerdings hatte er das Gemälde auch niemals aufhängen lassen, nicht einmal in seinem Büro. Es war, als hasse er es, könne sich aber trotzdem nicht davon trennen, und dieser Widerspruch

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