Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
werden diese Witze nie alt?« Er sah mir über die Schulter. »Ihr kommt doch zum Weihnachtsfilmmarathon vorbei, oder?«
»Aber sicher.« Das war die Stimme von Lance, die da hinter mir erklang. Wie Schlingpflanzen wanden sich seine Arme um meine Taille und hielten mich fest. Er legte das Kinn auf meine Schulter. »Um wie viel Uhr?«
»Herzlichen Glückwunsch zum Abschluss übrigens!«, fügte er hinzu. Dann wirbelte er mich mit einem Mal herum und küsste mich schnell und fest auf die Lippen.
»Danke, gleichfalls!«, erwiderte ich mit kokettem Unterton und küsste ihn zurück.
»Uaaah! Ganz im Ernst, manchmal seid ihr schlimmer als Courtney und Jason.«
»Jetzt bin ich beleidigt«, protestierte ich mit gespielter Empörung.
»Ich nicht!«, verkündete Lance und umarmte mich. Dann drückte er mir einen übertriebenen Schmatzer auf den Nacken, richtete sich aber schnell wieder auf. Sein Blick huschte hin und her, während er sich die klobige Brille höher auf die Nase schob. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Lieblingsenglischlehrerin vorbeigehen, die offensichtlich angestrengt versuchte, uns zu ignorieren. Obwohl Lance und ich jetzt schon seit Monaten zusammen waren, wurde ich in solchen Situationen in der Schule immer noch rot. Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mal zu den Mädchen gehören würde, die überhaupt in solche Situationen gerieten . Während meiner ganzen Schullaufbahn hatte es nicht so ausgesehen, bis letztes Jahr eben.
Dante schüttelte den Kopf. »Was ich alles im Namen der Freundschaft ertragen muss.« Wie wahr. Aber wir drei hatten einander, und dafür waren wir dankbar. Dante und ich hatten schon als kleine Kinder immer zusammengehangen, Lance hingegen war ein ziemlicher Einzelgänger gewesen, bis uns in der elften Klasse dieses verhängnisvolle Praktikum zusammengeführt hatte. Lance hatte die Idee gehabt, Ferienkurse zu belegen und so unseren Abschluss früher zu machen. »Was verpassen wir denn schon groß? Noch einen Abschlussball?«, hatte er gespöttelt. Und so hatten wir im Sommer über Büchern geschwitzt, Arbeiten geschrieben, Prüfungen abgelegt, und jetzt waren wir fertig.
Nachdem wir unsere Spinde geleert hatten, gingen wir den Flur entlang, Lance’ warme Hand in meiner. »Ich hatte schon den Eindruck, dass bei der Kleinen heute Abend Fluchtgefahr besteht«, sagte Dante und nickte in meine Richtung.
»Also gut, ich bin dabei.« Ich seufzte. »Ich muss mich noch um meine College-Bewerbungen kümmern«, erklärte ich Lance. »Wir können schließlich nicht alle so genial wie Dante sein, der seine Unterlagen im Schlaf fertig macht.« Diejenigen, die mir wirklich wichtig waren – für die Northwestern, die University of Chicago, Princeton, Harvard und Yale (Letztere ohne ernsthafte Hoffnungen) –, hatte ich längst fertig, aber jetzt fehlten noch die Anschreiben an die Hochschulen, die mir als Sicherheitsnetz dienten. Mit denen hatte ich bis ganz zum Schluss gewartet, falls ich sie vielleicht gar nicht brauchen würde.
»Was soll’s, du hast doch noch jede Menge Zeit«, meinte Dante, der von jeher seine guten Noten abzusahnen schien, ohne dafür auch nur einen Finger krummzumachen.
»Die müssen in spätestens einer Woche weg sein«, lachte Lance. Er war ebenfalls hochbegabt, außerdem aber gut organisiert, und hatte seine Bewerbungen deshalb schon im September rausgeschickt.
»Genau! Jede Menge Zeit!« Jetzt zeigte Dante sein breites, gewinnendes Lächeln. »Alter, ich mache meine noch auf dem Weg zum Flughafen fertig. Dann werfe ich sie eben da ein.« Ich gab ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm. Das war nur ein Witz.
Als wir endlich auf den Ausgang zuhielten, waren die Flure fast leer. Ich wickelte mir ein Tuch um den Hals, und Lance hielt mir die Tür auf. Wir traten ins Freie und wurden von einem heftigen Windstoß begrüßt. Mit gesenkten Köpfen machten wir uns auf den Weg zur L-Haltestelle.
Während des Sommers hatten wir damit begonnen, die L bis zu einer uns wohlbekannten Station in der Stadt zu nehmen und dann durch die Trümmer des glamourösen Hotels zu wandern, das einst so etwas wie ein Zuhause für uns gewesen war. Anfangs wollten wir einfach nur in seiner Nähe sein, so wie man ein Grab besucht. Wir saßen wortlos da und gingen die Erinnerungen an all das Schreckliche und Gute durch – denn trotz allem hatte es ja auch schöne Momente gegeben –, das wir dort erlebt hatten.
Wir holten uns heiße Schokolade bei einem heruntergekommenen kleinen
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