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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Lewis
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klatschten alle.
    Ich schob den Rollstuhl und dann gingen wir beide, Jeneba und ich, an der Spitze des Zuges hinein in den Saal.

Kapitel 43
    Graham behielt recht. Es war eine tolle Party. Flints Freundin ließ jeden eine Partnerin oder einen Partner finden und begann dann die Tänze aufzurufen. Mama Binta war mittendrin und ließ sich von Hamish herumwirbeln. Rob, Euan und ein paar Mädchen aus der Schule schoben Jeneba im Rollstuhl im Kreis herum. Die Band spielte, die Leute aßen und tranken und tanzten bis spät in die Nacht.
    Der einzige Mensch, der fehlte, war Mr McNair. Mum hatte angeboten, ihn abzuholen, aber er wollte nicht. Er hatte Mum gesagt, er habe das Tanzen vor langer Zeit aufgegeben.
    »Ich bin wirklich traurig wegen Iris«, sagte Jeneba. »Hamish hat es mir erzählt.«
    Wir saßen nebeneinander hinten im Saal, während die Band die Tänzer anfeuerte, sich schneller und schneller zu drehen.
    »Ich wollte sie so gerne wiedersehen«, sagte ich.
    Jeneba nickte. »Ich hab heute während der Fahrt die ganze Zeit an den Himmel geguckt und gehofft, sie zu sehen.«
    Ich schaute zu Jeneba rüber. Irgendwie wühlte es mich auf,zu sehen, dass sie wirklich existierte und nicht nur ein Name am Ende einer E-Mail war. Sie war leibhaftig hier, genau in diesem Augenblick, nachdem so vieles geschehen war.
    »Ich bin so froh, dass du hier bist«, sagte ich.
    Jeneba lächelte mich an und dann drückte sie meine Hand ganz fest. »Ich auch.«
    Dad ließ sich neben uns auf einen Stuhl fallen. Von seiner Stirn tropfte Schweiß. »Mama Binta kann irre tanzen«, stöhnte er. Wir schauten nach vorne, wer wohl jetzt Mama Binta am Arm herumwirbelte und sie über die Tanzfläche schleuderte.
    »Ihr seht erschöpft aus«, bemerkte Dad. »Es ist schon nach zwölf. Husch, husch, ihr zwei, gehen wir nach Hause. Ich muss sowieso nach den Schafen sehen.«
    Hamish fuhr uns nach Hause. In der frostigen Nachtluft kuschelten wir uns in unsere Mäntel. Die Berge hoben sich blauschwarz vom mitternächtlichen Himmel ab. Ein dünner Nebelschleier hatte sich um den Mond gelegt wie ein Heiligenschein.
    »Geht rein und macht euch ’ne heiße Schokolade«, riet uns Dad. »Ich seh noch mal kurz nach den Schafen.«
    Hamish half Jeneba aus dem Landrover.
    Jeneba klemmte sich ihre Krücken unter die Arme. »Schau«, sagte sie, »die Ärzte sagen, ich kann jetzt versuchen, ein bisschen mit Krücken zu laufen.«
    »Das ist einfach erstaunlich«, stellte Hamish fest und lächelte sie an. Er half ihr über den steinigen Hof zur Küchentür.
    »Hamish?«, rief ich ihn.
    Er drehte sich zu mir.
    »Kannst du uns morgen früh auf den Hügel fahren, nur uns beide?«, fragte ich. »Ich hab Jeneba versprochen, ihr den Adlerhorst zu zeigen.«
    Hamish nickte. »Ich arbeite morgen, also müssen wir früh los.«
    »Wir stehen bereit«, versprach ich.
    Langsam folgte ich Jeneba in die Küche.
    »Möchtest du eine heiße Schokolade?«, fragte ich.
    Jeneba nickte. »Ich liebe heiße Schokolade. Im Krankenhaus hab ich fast nichts anderes getrunken.«
    Sie setzte sich an den Küchentisch, ich kochte Milch auf und verrührte das Schokoladenpulver. Jeneba sah müde aus. Sie stützte den Kopf in die Hände und ihre Augen waren halb geschlossen. Auch ich fühlte mich müde. Das war ein langer Tag gewesen.
    »Hier.« Ich schob Mums Wäschestapel und Dads Zeitung beiseite und stellte ihr den Pott mit dampfender heißer Schokolade vor die Nase.
    Ich setzte mich, legte die Hände um meine eigene Tasse und ließ die Wärme in mich hineinströmen. Ich war so was von müde, dass ich einfach nur in den Dampf starren und dabei auf der Stelle hätte einschlafen können. Ich sah, wie sich kleine Dampffähnchen langsam nach oben kringelten, und musste an Iris denken, wie sie hoch in den Lüften kreiste.
    Der wabernde Dampf streckte seine gefiederten Flügel ausund zog in langsamen, trägen Kreisen in die Höhe. Er stieg höher und höher und berührte mit den Flügelspitzen ganz leicht mein Gesicht. Er kreiste über der Zeitung und den gebügelten Hemden auf dem Küchentisch. Er segelte über die geknöpften weißen Wäscheberge und gedruckten Täler aus Worten und trieb wieder auf mich zu. Ich wollte ihn mit den Händen festhalten, festhalten und für immer besitzen. Als ich meine Finger ausstreckte, schlüpfte er zwischen ihnen durch, zerfloss zu feinen Fädchen und war verschwunden.
    Jeneba schaute mich an und lächelte. »Weißt du«, sagte sie, »vielleicht bist du wie der Marabut.

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