Der Samurai von Savannah
Mikrowellen-Hamburger, Tütensuppen –, aber darum zu bitten, war ihm zu peinlich. Als Bettler durfte man nicht wählerisch sein.
Sie wandte sich ihm zu, legte ihm die Hände auf die Schultern und hauchte einen ihrer luftigen Küsse in Richtung seiner Wange. »Es ist alles vorbereitet«, sagte sie. »Übermorgen. Sax geht auf die Suche nach seinen Zwergfischen, und ich fahre in Septimas Auto nach Savannah – Kleider einkaufen.«
Er brauchte eine Weile. »Du meinst –?«
Sie strahlte ihn an.
»Rusu«, sagte er, und er konnte sich nicht beherrschen, Freude und Überraschung schossen in ihm hoch wie ein Rakete. Er schloss sie in seine Arme – er würde hier wegkommen, war so gut wie unterwegs, sein Leben würde neu beginnen –, dann aber spürte er ihren Körper, der sich an ihn schmiegte, und ein heftiges Verlustgefühl ernüchterte ihn schlagartig. Sie würde ihn in die Stadt bringen, und er würde von ihr gehen, ein Köter mehr in einem großen Rudel werden. Er würde sie nie wiedersehen.
»Also«, fragte sie, beugte den Kopf zurück, um ihn zu mustern, ein breites Grinsen auf den Lippen, »bist du glücklich?«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er suchte nach den rechten Worten – glücklich, ja, aber auch unglücklich –, als ein scharfes, zischendes Geklapper aus der Finsternis zu ihnen hereindrang. Beide schreckten auf. Hiro dachte an einen geplatzten Reifen auf der Autobahn, an eine in Fetzen gerissene Karkasse, aber der Lärm hörte nicht auf, eine wahre Explosion von Rasseln und Zischen, so wie nichts, was er jemals erlebt hatte. Ruth sah sich nervös um. Hiros Gesichtsmuskeln waren völlig erschlafft.
»Eine Schlange«, flüsterte sie und packte ihn am Arm. »Das ist eine Klapperschlange.« Und dann: »Da muss jemand den Weg entlangkommen.«
Klapperschlange. Aus der Tiefe seiner Erinnerung stieg der flache, bösartige Kopf auf, die kalten leblosen Augen. Er war wieder ein Junge, an der Hand seiner obāsan , und sah mit starrer Faszination durch das giftbespritzte Glas des Reptilienhauses im Zoo von Tokio.
»Du musst dich verstecken.« Ruth war ganz aufgeregt. »Draußen, hinter dem Haus.«
Der flache, bösartige Kopf, die zuckende Zunge. Hielt sie ihn etwa für verrückt? Da hinaus würde er bestimmt nicht gehen.
»Sofort.« Ihre Stimme klang hart und tonlos. »Geh!«
Ihre Hände fassten nach ihm, sie schob ihn hinaus, die Fliegentür ging quietschend auf und schnappte hinter ihm ins Schloss wie ein Raubtiermaul. Er stand auf der Schwelle, spähte in die schwarze Kehle der Nacht und fragte sich, ob er sich nicht einfach auf der Veranda zusammenrollen konnte, bis das hyperaktive Reptil und all seine flachköpfigen Verwandten wieder in ihre Löcher gekrochen waren. Er hielt den Atem an. Alles war still. Keine Schlangen, keine Eindringlinge. Aber er erinnerte sich an das letzte Mal, erinnerte sich daran, wie Ruth und ihr bōy-furendo sich auf den harten Brettern der Veranda vergnügt hatten, und er flankte übers Geländer, um sich in den dunklen Schatten des Hauses zu verbergen.
Für alle Fälle.
Am Morgen war er beim ersten Sonnenstrahl wach. Etwas hatte ihn geweckt, ein leises Geräusch an der Peripherie seines Bewusstseins. Sein Blick erfasste die vertrauten Deckenbalken, müdes, totes Holz und das ungesunde grünliche Licht, das immer wie Giftgas im Raum hing. Er zwinkerte zweimal und fragte sich, welches Geräusch ihn eigentlich geweckt hatte. Die Vögel veranstalteten ein Höllenspektakel, beschimpften einander in den Bäumen, und er hörte das feuchte Quaken von Fröschen, Echsen oder so, das keckernde, stoßweise Gekreisch eines Affen – aber gab es hier überhaupt Affen? Aber das alles war nichts Ungewöhnliches, nichts anderes als das, was er Tag und Nacht hörte, seitdem er von seinem Schiff gesprungen war. Die Natur war das. Überall diese wimmelnden kleinen Lebewesen, Kröten, das ganze Gewürm … Was würde er nicht für den Lärm einer guten Disco geben: laute Stimmen, das Getöse einer Rhythmusmaschine, Gelächter und Rufe von der Bar, das tuckernde Grollen der großen Hondas und Kawasakis, die draußen vorfuhren … aber da, da hörte er es wieder. Ein Hecheln oder Keuchen, wie es ein Hund an einem Würgehalsband von sich gibt, oder ein Greis mit einem Lungenemphysem, der sich eine Treppe hinaufkämpft.
Er hörte dieses Hecheln, und wie er so halb wach dalag, dachte er an seinen Großvater. Als kleiner Junge in Kioto, bevor der Großvater gestorben und seine obāsan
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