Der Samurai von Savannah
die Knie nieder und berührte mit der Stirn den Boden, »bitte!«
Sie lachte, als er sich vor ihr niederwarf, und schließlich gab sie nach, schob die Schreibmaschine beiseite und schaffte Platz auf ihrem Arbeitstisch. Schweigend aßen sie, aber er bemerkte voller Dankbarkeit, voller Liebe, dass sie ihm den Löwenanteil zukommen ließ. Während er die Reste vertilgte, rauchte sie eine Zigarette, und er brach die Stille mit einer Frage, die ihm plötzlich und unmotiviert durch den Kopf schoss: »Rusu, bitte und Verzeihung, wie alt du bist?«
Sie legte den Kopf zurück, zog an ihrer Zigarette und stieß die Antwort zusammen mit dem Rauch aus: »Neunundzwanzig.«
»Du geschieden bist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nie geheiratet.«
Er bedachte dies eine Weile, wischte Krümel vom Tisch, dann durchquerte er den Raum, um sich zur Tür hinauszulehnen und den Essensbehälter zurück an den Haken zu hängen. »In Japan«, sagte er, »eine Frau heiratet mit vierundzwanzig. Ein Mann mit achtundzwanzig.«
Ruth grinste, in ihren Augen lag ein gewitzter, sarkastischer Blick, und er hatte eine plötzliche Vision, wie sie im »Big Apple« lebte, in einem Reihenhaus mit einer Badewanne so groß wie die Wohnung seiner obāsan , mit Gemälden an den Wänden, Möbeln aus Chromstahl und Leder und dem allgegenwärtigen tiefen Flauschteppich, und er sah sich selbst, wie er zu ihr nach Hause kam, ein Angestellter in Anzug und Krawatte, mit einer schicken kalbsledernen Aktentasche in der Hand. »Und wie alt bist du?«, fragte sie.
Er war zwanzig. Gerade geworden. Aber er wirkte älter, das wusste er, und er wollte sie nicht mit dem großen Altersunterschied enttäuschen. »Einunddreißig«, erwiderte er.
Sie runzelte die Stirn und entließ zwei dünne Rauchsäulen aus der Nase. »Wirklich?«, fragte sie. »Drei Jahre über der Zeit. Ich muss mich sehr wundern über dich, Hiro, du solltest selbst längst verheiratet sein.«
Während der nächsten paar Tage verbrachte sie fast die ganze Zeit bei ihm und kehrte nur nachts zum Schlafen in das Große Haus zurück. Er stellte ihr keine Fragen wegen ihrer Schlafgewohnheiten, denn er war immer noch sehr zurückhaltend in ihrer Nähe. Er wollte sie, und er versuchte, ihr das mit Blicken zu zeigen oder durch scheinbar zufällige Berührungen, wenn sie von ihrem Schreibtisch aufstand. Einmal, nachdem er ihr unendlich lange Stunden beim Arbeiten zugesehen hatte, trat er hinter sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Nicht jetzt«, sagte sie und zog ihn an sich, um ihm einen jener flüchtig hingetupften Küsse aufzudrücken, die Amerikaner so gern verteilen. »Ich arbeite noch.« Später, als sie aus dem Großen Haus zurückkam und Abendessen für sie beide mitbrachte, versuchte er es mit einem stummen Appell – einer Geste, einem langsam schmelzenden Blick –, und sie bemerkte es, ging auch darauf ein, erklärte aber, sie fühle sich nicht wohl. »Die Hitze«, sagte sie und lenkte mit einer Frage über Japan von dem ab, was zwischen ihnen geschah: War es dort eigentlich je so heiß?
Und dann kehrte sie eines Abends von der Cocktailstunde im Großen Haus nicht mehr zurück. Es wurde sieben, und sein Magen knurrte. Es wurde acht, die Sonne verschwand, und er verlor langsam die Hoffnung. Vielleicht – aber nur vielleicht – kam sie in der Nacht ja doch noch wieder. Stundenlang wartete er, vor sich hin grübelnd. Was wollte sie denn überhaupt von ihm? War alles nur ein Spiel für sie, ein Scherz? Und wann würde sie ihr Versprechen erfüllen, wann würde sie ihn aus diesem stinkenden Loch von Insel wegbringen? Er war verbittert, als er so ohne sie im Dunkeln dasaß – verbittert und, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, auch eifersüchtig –, und er vergaß seine Dankbarkeit und alles, was er ihr schuldete, und er erhob sich aus dem Schaukelstuhl und knipste die Lampe über ihrem Arbeitstisch an.
Da war sie, ihre Erzählung. Eine Seite steckte in der Schreibmaschine, die übrigen lagen auf dem Tisch verstreut, als hätte sie ein plötzlicher Windstoß dort hingeweht, einzelne Seiten waren quer durchgestrichen, bekritzelt, voller Kaffee- und Tintenflecken. Wie viele Male hatte er sie schon ordentlich zusammengelegt, wie oft hatte er ihre Bleistifte und Kugelschreiber geordnet und ihre Kaffeetasse gespült? Nie hatte er auch nur ein Wort davon gelesen. Nicht weil er nicht neugierig war, sondern weil er sich geschämt hätte. Wie konnte er so in ihre Privatsphäre eindringen,
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